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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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schmerzte und beglückte, ihr heimlich bei der Mahlzeit zuzusehen. Er selbst aß Schüsseln mit Miesmuscheln, auf denen sich Zwiebelringe türmten, schlürfte die Brühe auf, er freute sich an der ganzen kleingemusterten, feinfühligen Stadt, ihrer Zierleistenseligkeit, besonders im Hotel Des Indes mit seiner heiteren und gleichzeitig würdigen Geblümtheit, für die er sich zu ungeschlacht, zu groß, zu deutsch empfand. Und über der Stadt leuchtete ein Königshaus, Wachen zogen auf und ab, und man roch das Meer, man sah das graue Meer, und der Wind wehte aus England. Ja, das hatte er verstanden: Man hatte ihn in ein Leitungsgremium gebeten, um die Berufung anderer Deutscher zu verhindern, aber das tat auch nicht wohl, die anderen, die Nicht-Berufenen, waren Schatten, die ihn verdunkelten, seine Unbefangenheit verstörten. Den freundlichen und engagierten Niederländern, die ihn berufen hatten, war das nicht vorzuwerfen. Eher warf er sich selbst seinen Mangel an Bewegung, an Zugriff vor. Ja, in stillen Augenblicken warf er sich vor, daß er die Wahl angenommen hatte, während das Amt gar nicht viel Anspruch an ihn stellte. Er operierte auf einem anderen Gleis und fühlte sich ertappt dabei: Nur ein wenig Völkerrecht, aber er konnte doch nicht mehr umsatteln, er hatte das Patentrecht im Blick, das Handelsrecht, der Blick auf eine juristische Totale war totalitär, gigantomanisch, und er hatte Pflichten in einem Landgericht. Darüber mußte gründlich nachgedacht werden zur richtigen Zeit oder nie. Also entschied sich Kornitzer für die richtige Zeit, und er schwieg über seine Kümmernisse. Ja, er schwieg, und Claire war die Erste, die über sein Schweigen hinwegschwieg, beharrlich schwieg. Aber was gab es zu verbergen?
    Von Den Haag aus fuhr er nach England, besuchte George und Selma. Er mußte dem Sohn und der Tochter sagen, daß er von nun an kein Kindergeld mehr für sie in Deutschland erhielt. Das lag nicht daran, wie Selma vorschnell vermutete, daß sie in England lebte und George englischer Staatsbürger war. Der Vater mußte es ihnen so nüchtern wie möglich erklären. Er war vom Justizministerium gebeten worden, nachzuweisen, wie lange noch George seinen Dienst im
National Service
, bei der Armee, ableistete. Als daraus deutlich wurde, daß George nach seinem Einsatz in einem Technik-Bataillon in eine Ingenieursfirma einträte, erlosch sein Anspruch. Die Zahlung für Selma hatte das Ministerium vorläufig eingestellt, weil sie sich hatte exmatrikulieren lassen. (Daß Kornitzer diesen Akt als unklug und überstürzt ansah, stand auf einem anderen Blatt.)
Ein Studierender, der sich nach Ablauf des Semesters exmatrikulieren läßt, scheidet mit Ende des zuletzt belegten Semesters aus. Der Tag, an dem die Exmatrikulationsformalitäten durchgeführt werden, ist hierbei nicht von Bedeutung, da diese auch zu einem viel späteren Zeitpunkt noch nachgeholt werden können
, hatte in dem Bescheid gestanden. So blieb für Selma noch ein Schlupfloch, ihr Vater erklärte es ihr so ruhig wie möglich: Sollte sie sich entschließen, im neuen Semester an einer anderen Universität, vielleicht in Deutschland, schlug er zaghaft vor, ihr Studium fortzusetzen, würde der Kinderzuschlag weiter gezahlt. Vorerst brauchte er eine Bescheinigung der Universität über ihr Ausscheiden aus dem Studiengang. Aber Selma sah düster durch ihn hindurch, als hörte sie ihn gar nicht. Die beiden erwachsenen Kinder empfanden es so, daß der deutsche Vater Staat, der sie als kleine Kinder ihrer Nationalität beraubt hatte, keine Fürsorgenotwendigkeit für sie empfand, und ausgerechnet ihr Vater war der Überbringer der schlechten Nachricht. Der schlechten Nachricht, deren objektive Bedingungen Kornitzer einräumen mußte. Er sagte George und Selma auch, wenn sie Geld brauchten, Unterstützung, er gäbe es ihnen selbstverständlich auch ohne den Kinderzuschlag.
    Kornitzer empfand George als sich versteifend, als hätte er sich mit dem englischen Namen je länger um so mehr auch eine Würdeform zugelegt, eine Verpanzerung, die der Vater kaum durchdringen konnte. (Aber er, Richard Kornitzer, hatte sich ja auch umständehalber verpanzert. Das Auto. Das Essen. Die Leibesfülle, gegen die gearbeitet werden mußte wie gegen einen inneren Feind, der nach außen drang.) Das Beste war: Er lud George zum Essen ein, und sie überlegten gemeinsam, wo und wie dieses Essen stattfinden sollte. In seinem Zimmer (seiner Bude?) wollte George offenbar den Vater

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