Landgericht
in einem zweireihigen Anzug, aus der Brusttasche ragte eine Reihe von Stiften, ein raumgreifender Schreibtisch,
vor ihm Teile aus Hitlers Nachlaß
, hieß die Bildunterschrift. Bild und Unterschrift suggerierten: Auerbach wühle unberechtigterweise in der Vergangenheit, ein Jude habe sich Hitlers Nachlaß gesichert, habe sich selbst zum Erben gemacht und: Kaum daß das Erbe Hitlers, Görings und Goebbels’ in den Nürnberger Prozessen und mit der neuen Staatsgründung gerichtet worden war, griffe ein Jude nach der Macht. Es war ein obszönes, ekelhaftes Bild, und Kornitzer fragte sich, ob man dagegen presserechtlich vorgehen könnte. Und er fragte sich auch, warum Auerbach sich so hatte photographieren lassen. Aus Geltungssucht? Aus Naivität?
Ein paar energische Telephonanrufe zwischen Mainz und München ergaben: Der Staat Bayern ist der Erbe Hitlers, er besitzt auch die Urheberrechte an „Mein Kampf“. Das war erstaunlich, hatte aber reale Gründe. Ein ermittelnder Richter an einem Zivilgericht war ein freier Mensch, er war unabhängig und konnte in jene Richtungen ermitteln, die ihm notwendig und wichtig erschienen. Nur konnte er kein Verfahren an ein Gericht ziehen, an dem es wegen des Erscheinungsortes der Publikation nicht anhängig sein konnte. Der Richterstand machte Kornitzer frei, aber die Ermittlung, die er einleiten wollte, führte zu nichts. Ihm waren die Hände gebunden.
Kornitzer las nicht nur alles, was er in die Hände bekommen konnte. (Ja, er fraß es, stopfte es hinein, und es tat ihm nicht gut.) „Der Spiegel“ hatte am 14. Februar 1951 einen sensationsheischenden Artikel über Auerbach gebracht, der kaum ein Klischee ausließ:
Schwarzer Dienst-BMW – Tageslauf des Betriebsamen – Hunderte von Besuchern – Postdiktat, Unterschriften und Anweisungen, die über seine Tisch-Mikrophonanlage gingen – wie Cäsar gleich vier Schreibern Arbeit gab – massig im Oberhemd mit Brasil hinter seinem Tisch – Cäsar der Wiedergutmachung
. Der Mann war ein rotes Tuch. Zwischenüberschriften wie:
Fälschung und Gegenleistung – Kredit auf KZ-Lager – Ich bin der Präsident – Geld genommen – Wiedergutmachungsgeschäft
deuteten unmißverständlich darauf hin, hier wurde vorverurteilt, und alles lief darauf hinaus, der Jude war geldgierig, er betrog die Deutschen, er täuschte Mangel vor. (Auch Auerbach war Deutscher.) Es gab Kriegsgewinnler, und so mußte es nach aller verdrehten Logik auch Wiedergutmachungsgewinnler geben, solche, die Blut saugten aus der Niederlage der Nationalsozialisten, so stellte man sich das vor.
Kornitzer knallte die Zeitschrift zuhause auf den Eßtisch, zwang Claire förmlich zu lesen. Er hatte sich ein feines Arbeitszimmer im oberen Stockwerk des neuen Hauses eingerichtet, mit Blick auf das Rasenviereck, aber es stellte sich bald heraus, daß er doch am Abend lieber bei Claire im Erdgeschoß blieb, in ihrer Nähe. Vielleicht weil er sich im Dachzimmer in Bettnang an das enge Zusammensitzen gewöhnt hatte, vielleicht auch aus Neigung, Zutraulichkeit, Liebe. Verstehst du das? Verstehst du, warum man diesen Mann so hetzt?, fragte er Claire. Claire verstand es und sagte es auch: Es ist der blanke Antisemitismus. Kornitzer hatte es auch verstanden, aber er wollte es lieber aus dem Mund seiner Frau hören. Mit Claire abends zusammenzusitzen, war ein Schutz gegen sein ramponiertes Weltbild, eine Rückversicherung. Er glaubte, sie zu verstehen, und er glaubte, sie verstünde ihn. Verstehst du das? Verstehst du das? Manchmal schwiegen sie einfach oder hörten Musik. Ja, sie verstanden sich gut.
Eine Haftbeschwerde der Rechtsanwälte Auerbachs lehnte das Gericht am 16. Januar 1952 ab. Die Strafsache an der 1. Strafkammer des Landgerichts München hieß:
Amtsunterschlagung u. a
. Der aufsehenerregende Prozeß begann am 16. April 1952, dem zweitletzten Tag von Pessach, es war wie eine Provokation für einen jüdischen Angeklagten und seinen jüdischen Verteidiger. Prompt hatte die Verteidigung vor Beginn der Hauptverhandlung eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht wegen Verletzung der Religionsfreiheit eingelegt. Der Vorsitzende Richter wartete aber nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ab, sondern vertagte die Hauptverhandlung auf den 18. April. Der Richter, der außerplanmäßig den Vorsitz übernommen hatte, war ein ehemaliger Oberkriegsgerichtsrat, der Vorsitzende Richter, die Staatsanwälte, ein weiterer Beisitzer und der psychiatrische Gutachter
Weitere Kostenlose Bücher