Landgericht
Bereitschaftspolizei mußten nicht mehr eingesetzt werden
, las Kornitzer. Zuerst hatte er sich verlesen, er hatte Hundestaffeln statt Hundertschaften gelesen und war über sich selbst erschrocken. Vor George und Selma versuchte er seine Erregung zu verbergen. Ja, er verstand die Kinder so gut, daß sie sich vor Deutschland fürchteten, und würden sie es besser kennen, hätten sie noch mehr Berechtigung zur Furcht – wie ihr Vater. Der Untersuchungsausschuß des Bayerischen Landtages zum Fall Auerbach rehabilitierte ihn letztlich im vollem Umfang. Das war nur noch eine kleine Nachricht nach den Sensationsmeldungen. Von einer Veruntreuung, von einer Bereicherung auf Staatskosten konnte keine Rede sein.
An einem ruhigen Nachmittag wollte Kornitzer in der Bibliothek des Landgerichts die Fachzeitschriften durchblättern. Auf einem der Tische fand er ein Buch aufgeschlagen; es zog Kornitzer magisch an. Einer seiner Kollegen hatte eine Wendung unterstrichen,
die Jahre des ‚ungekrönten Königs von Bayern‘ Philipp Auerbach
, und es war kein Zweifel, daß der Verfasser befriedigt war, daß diese Jahre vorüber waren. (Und der, der die Wendung unterstrichen hatte?) Er sah nach dem Titel des Buches:
Das Wesen der Spruchkammern und der durch sie durchgeführten Entnazifizierung. Ein Rechtsgutachten von Dr. Otto Koellreuther
. Er las Sätze wie:
Es wäre leicht nachzuweisen, daß in Spruchkammer-Fällen als öffentliche Kläger oder Spruchkammer-Mitglieder tätige Juristen sich in dieser Funktion nicht als Juristen, sondern als politische Funktionäre gefühlt und dementsprechend gehandelt hatten
. Und:
Die persönliche Unabhängigkeit der Richter gehört, entgegen der Ansicht des OLG München, notwendig zum Wesen der Rechtspflege im Rechtsstaat. Von einer solch persönlichen Unabhängigkeit der Spruchkammer-Mitglieder kann schon deshalb nicht gesprochen werden, weil die Spruchkammer-Mitglieder einer ganz bestimmten Schicht, den Gegnern des Nationalsozialismus und Militarismus, entnommen werden mußten
. Und weiter mußte er lesen, daß
gewisse Kreise das Entnazifizierungsverfahren zur Befriedigung ihrer Rachegelüste und persönlichen Haßgefühle mißbrauchen wollten
. Und
daß es sich bei den meisten Vorsitzenden und Klägern der Spruchkammern in erster Linie um politische Fanatiker handelte, nicht um Menschen, denen die Erforschung des Rechts über alles geht
. Und so wurde weitergehetzt und diffamiert. Es war ein massiver Angriff auf das erst ansatzweise wiedergewonnene Rechtsgefühl. Es war kein Rechtsgutachten, es war eine Anstiftung zum inneren Unfrieden. Der Staatsrechtler erlaubte sich eine rückwärts gewandte Richterbeschimpfung. Sie war niederschmetternd.
Das aufgeschlagene Buch zu finden, traf Kornitzer, es traf ihn so sehr, daß er überlegte, wer von den Kollegen im Landgericht diese Schrift, die ihm wie ein Feuerwerkskörper in der Hand explodierte, auf den Bibliothekstisch gelegt hatte. Es mußte auch jemand für die Anschaffung plädiert haben. War es Dr. Buch mit seinem breiten Kreuz und seiner Sicherheit, mit der er seine Zurücksetzung glorreich überstanden hatte? War es Landgerichtsrat Beck mit seinem nervösen Zwinkern, der Rachegründe hatte? Es war nicht Kornitzers Art, jemanden zu verdächtigen. Oder erwartete niemand von den Kollegen, daß er sich ebenso wie die anderen kundig machte über die neuere Rechtsprechung und die Bibliothek benutzte? Hielten sie ihn für ein Fossil, stehengeblieben wie eine Uhr, stehengeblieben in der bürgerlichen Rechtsprechung der Weimarer Republik? Er informierte sich über den Verfasser des kleinen Buches aus einem Göttinger Verlag, ja, Otto Koellreutter gehörte schon 1932 zu den Unterzeichnern eines Aufrufs von Hochschullehrern, bei der bevorstehenden Reichstagswahl die NSDAP zu wählen. Er war neben Carl Schmitt einer der führenden Staatsrechtslehrer mit einem Lehrstuhl in München, ein
Theoretiker des Führerstaates
. Erst die amerikanische Militärregierung enthob ihn 1945 seines Amtes. 1949 war seine Amtsenthebung rückgängig gemacht worden, mit seinen Bezügen wurde er in den normalen Ruhestand eines emeritierten Professors versetzt, er hatte die Altersgrenze erreicht. Jetzt war er ein Mann von über siebzig Jahren, der herumdröhnte und Schmutz verbreitete. Und er wurde gedruckt. Er wurde im Landgericht von einem seiner Kollegen oder von mehreren gelesen. (Nicht nur das, in seinem Text wurde gearbeitet. Angestrichen!) Die Schrift endete mit einer
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