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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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und Philipp Auerbach war in Bayern, und seine hohe und komplizierte Mehrfach-Funktion war von Anfang an prekär und auch als eine solche prekäre konstruiert worden. Kornitzer mit seiner guten juristischen Vorbildung, seinen vorzeigbaren Zeugnissen und seiner Geschichte war besser gesichert, auch weniger schillernd, vielleicht hätte er dem Mann in München 1949 einfach eine brüderliche Hand reichen sollen. Aber seine Hände waren ihm schwer geworden, zögerlich, seine Hände blätterten durch Akten. Ja, er hätte von Lindau aus sofort, als er den Namen Philipp Auerbach gelesen und seine Funktion begriffen hatte, einen Brief schreiben sollen, einen nahen, aber auch distanzierten Brief. Er hatte ja keine Wünsche und Forderungen, die die bayerische Landesregierung ihm erfüllen sollte. Bayern war damals noch amerikanische Zone, und er war in Lindau zufälligerweise bei den Franzosen gelandet, die anders entschieden und nicht diese gewaltige Masse von DPs zu versorgen hatten, die, aus den Lagern kommend, nach Süden geströmt waren, vielleicht von der Idee der amerikanischen Retter angezogen.
    Dem Recht wohnt beides inne: das Erinnern und das Vergessen
. Kornitzer hatte diese Zeit ja nicht erlebt, das kam ihm jetzt wie ein Makel, ein sträfliches Unwissen vor. Er hatte sich in Lindau als arbeitssuchender Jurist gemeldet und nicht recht begriffen, warum es so lange dauerte, bis man ihn und seine Qualifikation brauchte. Dann hatte man ihn gebraucht, man konnte sich nicht übermäßig mit Ruhm bekleckern, nicht einmal das eigene Gerechtigkeitsgefühl war gestillt in der Arbeit der Spruchkammern. Er hatte die Vorstellung gehabt, vieles, was ihn kränkte, sei auf eine bestimmte süddeutsche Art, die er als Preuße nicht ganz nachvollziehen konnte, einfach vergessen oder verschlampt worden, dazu konnte man schwerlich etwas sagen. Am klügsten war es, so schien es ihm damals, einfach abzuwarten. Und warum er dann aus Lindau den Ruf nach Mainz bekam, wo er keine Menschenseele kannte, war ihm selbst sonderbar vorgekommen. Aber sonderbar und wunderbar waren keine übermäßig verschiedenen Begriffe. Er mußte sich selbst, nachdenkend, vordenkend, nicht wirklich entscheiden.
    Er hatte gelesen, daß Philipp Auerbachs Dienststelle in München täglich von sechzig bis hundert Besuchern belagert worden war. Er hatte gelesen, daß Auerbach den Landtag, die Münchner Stadtverwaltung mit Petitionen und Beschwerden überschüttete. Auerbach schrieb rasch, energisch und gut (wo hatte er das gelernt?, nicht im Konzentrationslager), er schrieb nicht wie ein Verwaltungsmensch, nicht wie ein Staatssekretär, er schrieb persönlich.
Es erfüllt nicht nur mich, sondern alle Kreise aus dem In- und Ausland, die den Glauben an eine gerechte Wiedergutmachung gehabt haben, mit tiefem Schmerz und noch größerer Sorge, daß man den kleinen Waggon „Opfer des Nationalsozialismus“ auf das fünfte Nebengleis eines an sich schon schwer zugänglichen Verschiebebahnhofs gestellt hat
. Er konnte Anregungen aus dem Hut zaubern, eine Moralkeule schwingen, Druck auf die Verantwortlichen in den deutschen Verwaltungen, auf die Militärregierung und auf die Interessenorganisationen der Verfolgten ausüben, das gefiel nicht jedem, und je länger er Druck machte, gefiel es niemandem. Er erhielt Drohbriefe und antisemitische Schmähungen und ließ sie abheften.
    An einem bitterkalten Januartag 1951 hatte die bayerische Polizei handstreichartig das Gebäude des Landesentschädigungsamtes in der Arcisstraße besetzt, Akten beschlagnahmt, um sie auf Fälschungen oder Betrügereien zu untersuchen. Am 10. März 1951 war Auerbach, als er von einer Konferenz in Bonn zurückkam, auf der Autobahn nach München verhaftet worden; es war ein dramatischer Akt. Einen Schwerverbrecher verhaftete man so. Gegen Auerbach wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, die Ermittlung des Oberstaatsanwalts ergab aber, daß
für Untreue im Sinne einer Unterschlagung von Staatsgeldern
kein Anhaltspunkt bestehe. Trotzdem blieb er in Haft, und kein Mensch fragte warum. Die jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik hatten sich schon von ihm distanziert, aus Angst, daß sein Verbleiben im Amt dem Ansehen der Verfolgten schaden könnte. Als wäre er gefährlich. Als wäre der, der versuchte, den Entrechteten zu ihrem Recht zu verhelfen, einer, der die Rechtsnormen verletzte. Kornitzer sah ein Bild von Auerbach in einer Zeitschrift, da saß er an seinem Schreibtisch, ein raumgreifender Mann

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