Landgericht
diese Schreibmaschine aus Berlin geblieben ist, sagte er zu Claire. Sie sah ihn sonderbar an. Das ist nicht unsere Berliner Schreibmaschine, Richard. Die ist mir in Berlin bei einer Hausdurchsuchung abgenommen worden. Ich habe danach eine ähnliche kaufen können. Kornitzer richtete sich auf: Du hattest eine Hausdurchsuchung in Berlin? Wann und warum? Und warum hast du mir nichts davon gesagt? Claire hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. Du hast nicht danach gefragt, und wir hatten so viel miteinander zu besprechen. Das stimmte. Richard Kornitzer nahm das streng gewordene Gesicht seiner Frau zwischen die Hände und streichelte ihr Kinn. Sein Finger und sein Blick blieben an einem Haar haften, das da nicht hingehörte. Ich habe dir auch nicht die zehn Jahre in Havanna haarklein erzählen können. Das wäre ein Roman gewesen, und Romanfiguren waren wir ja gerade nicht, antwortete sie. Wir mußten nach vorwärts schauen.
Er wußte nicht genau, was sie unter einer Romanfigur in diesem Augenblick verstand, vergaß es dann wieder. Und brachte den Brief an die Kindergeldstelle des Ministeriums noch am späten Abend zum Briefkasten, ein Sichelmond hing über der katholischen Kirche von Mombach, eine Vespa tuckerte auf der Hauptstraße. Er wollte den Brief aus dem Haus haben und dann mit Claire schlafen gehen, nicht zu früh, nicht zu spät. Vom übermäßigen Liegen hielt er nichts, er mußte sich die Niederlage vom Leibe halten.
Das Universum
Richard Kornitzer und Claire waren schon als Brautpaar um die Baustelle gestrichen, Erich Mendelsohn baute am unteren Kurfürstendamm ein Kino, dessen Fassade einen so rasanten Schwung hatte, daß man einfach stehenbleiben mußte. Nein, „man“ blieb nicht stehen, ein moderner Mensch blieb stehen, einer, der auch Schwung hatte und Optimismus, an einer Steigerung des Ausdrucksvermögens interessiert war, jemand, dem der Spaß an der Gemütlichkeit grundsätzlich abhanden gekommen war. Vermutlich auch jemand, der ins Kino ging und die alten Plüschschachteln von Kinos satt hatte, diese Stucktorten mit Samtbesatz und gipsernen Schnörkeln, falschem Pomp und Kronleuchtern im Foyer, die an Varietés erinnerten. Dick aufgetragene Versprechen für Provinzler, die zum ersten Mal nach Berlin gekommen waren und nach einem Amüsemang gierten. Nach weiblichen Beinen, strammen Schenkeln, die bis über den Scheitel gehievt würden, mit einem beglückten Aufseufzen und einem dramatischen Schweißausbruch im zweiten Parkett. Ufa-Palast, Marmor-Palast, Titania-Palast, Tauentzien-Palast, Gloria-Palast, alles Paläste des falschen Scheins. Saß man auf seinem Platz, spielte zur Einstimmung schon einmal ein Organist auf einer weißen elektronischen Orgel Melodien aus dem später gezeigten Film. Tingeltangel, Pleureusengefühl. Nein, ein solches Kino war von gestern. Das neue Universum war ein konsequent durchstrukturiertes Kino. Ein Kino, in dem man von jedem Platz aus eine exzellente Sicht hatte, ein Kino der Konzentration, alles Überflüssige fehlte. Bei Dunkelheit glühte das Kino vor Energie, die große Leuchtreklame sog die Besucher förmlich an. Sie war wie ein schlankes Band über dem Scheitelpunkt des geschwungenen Gebäudes angebracht, und auf der Spitze des keilförmigen Anbaus, der den flachen Hauptteil des Gebäudes kreuzte und den Lüftungsturm bildete, prangte das Firmenzeichen der Ufa. Es war eine machtvolle Demonstration des bedingungslos Modernen. Richard Kornitzer und seine junge Frau (noch Braut) waren da richtig. Sie hatten sich ineinander verliebt, und sie hatten sich in den Bau verliebt.
Denn haltgemacht: Universum – die ganze Welt! Palastfassaden? – Und die Rentabilität: Läden machen Geld, Büros beleben und schaffen Publikum. Säuleneingang für Mondäne? Maul, groß aufgesperrt mit Lichtflut und Schaugepränge. Denn Du sollst hinein, Ihr alle – ins Leben, zum Film, an die Kasse!
So hatte der Architekt Erich Mendelsohn zur Eröffnung des Kinos für seine Erfindung geworben, er hatte selbstbewußt ein Magnetfeld der Wahrnehmung geschaffen, auch der Ökonomie, es war ein teures und großes Projekt, dessen einziger Fehler war, daß es mit der Weltwirtschaftskrise kollidierte. War denn das Geldverdienen und das Geldvernichten im Börsenkrach nicht auch eine Wahrnehmung, eine Empfindungsstärke, eine Empfindungsnotwendigkeit, die im absoluten Nichts enden konnte oder in einem Zusammenrücken von Familienverbänden, Paaren, die sich alles Kommende anders
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