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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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Zeile mit Geschäften an der Ostseite des Komplexes, eine schwungvolle Hommage an das großstädtische Leben, an die Massenkultur. Ein Hotel und eine strenge, elegante Zeile mit Wohnungen sollten folgen. Diese hatten nach Westen ausgerichtete Loggien, manche ein Mädchenzimmer, viel Licht und Luft, und das gleich um die Ecke des Kurfürstendamms. Wohnungen, die für ein gehobenes Bürgertum gedacht waren, sich aber auch am Siedlungsbau für ärmere Mieter orientierten, ein feines Understatement in der Wirtschaftskrise. Mit der liegenden Kurve des Universum korrespondierte gut die zartere Wellenbewegung der Loggien in dem Wohnblock. Die Fassade aus cremefarbenem Putz war mit horizontalen Klinkerbändern gegliedert, halbrund traten die Loggien hervor. Richard Kornitzer und Claire fühlten sich sofort angesprochen. So wollten sie wohnen, im Woga-Komplex der Wohnungsgrundstücksverwertung AG. Und als sie 1930 heirateten, gelang es ihnen ohne Schwierigkeiten, darin eine Wohnung zu mieten. Im Börsenkrach war die Planung verändert worden, für das Hotel bestand kein Bedarf mehr, so wurden mehr Wohnungen gebaut, aus den geplanten Hotelzimmern wurden kleine Apartments, und die größeren Wohnungen an der Cicerostraße, auf die sie ihr Auge geworfen hatten, waren manchen potentiellen Mietern, die im Börsenkrach Geld verloren hatten, nun zu teuer. Das junge Paar hatte kein Geld verloren, denn es hatte noch nichts anzulegen.
    Eines Tages hatte auf der Breitseite des Keils über dem Kinogebäude plötzlich eine riesige Aufschrift geprangt: LICHTREKLAMEN LÄDEN WOHNUNGEN ZU VERMIETEN AUSKUNFT HIER. Alle Buchstaben waren auf einem Quadrat aufgebaut, schlank und zugleich breit, eine Schrift, die alle Schnörkel abgelegt hatte, als wäre auch sie vom Architekten entworfen worden, alles aus einer Hand. Claire, die das Universum besuchte, zögerte nicht, sofort um Auskunft zu bitten. Da hatten sie das Aufgebot schon bestellt, die Liste der Hochzeitsgäste hin- und hergeschoben. Richard Kornitzer und sie besichtigten die Woga-Wohnung und waren begeistert, zwei Zimmer zur Straße, ein kleines zum weiten, lichten Innenteil des Komplexes, ein strenges, schwarzweiß gefliestes Bad und eine quadratische Küche mit einem Einbauschrank. Eine Wohnanlage, hell und luftig, vom berühmten Architekten Erich Mendelsohn gebaut, berichtete Claire ihrer Mutter voller Stolz. Wer ist das?, fragte Claires Mutter hilflos. Er hat das Kaufhaus Schocken in Chemnitz, Nürnberg und in Stuttgart gebaut und plant ein Hochhaus am Bahnhof Friedrichstraße. Genügt das nicht? Das leuchtete Claires Mutter ein. Ja, sie sah sich auch den Komplex an und konnte nicht anders als die Tochter zur glücklichen Wahl zu beglückwünschen. Ob sie über die Wahl des Ehemanns ihrer Tochter wirklich glücklich war, ließ sie auf preußisch disziplinierte Weise nicht durchblicken, und dabei blieb’s.
    Kornitzers Mutter hütete sich, zur Brautwahl ihres einzigen Sohnes eine bestimmte Meinung zu äußern. Sie war vor drei Jahren zum zweiten Mal Witwe geworden, saß in einer zu großen Kurfürstendamm-Wohnung, von der sie sich nicht trennen konnte, hütete zu viele Gegenstände, Vasen und Henkelkrüge und Schachteln voller Bänder und Knöpfe. In vielem, aber nicht in der Verwaltung ihres Vermögens, war sie auf ihren Sohn angewiesen. So eine selbständige Frau, sagte sie über Claire, und es war nicht klar, ob dies ein übergroßes Kompliment oder eine versteckte herbe Kritik war. Vielleicht wäre er mit einer weniger selbständigen Frau besser beraten, räsonierte sie, gab aber keinen Rat. Daß Claire groß gewachsen war und mit beiden Beinen auf dem Boden stand, imponierte ihr, aber sie hatte sich eher eine zarte Schwiegertochter, etwas wie ein Mädchen, anlehnungsbedürftig auch an sie, vorgestellt. Und eine Jüdin.
    Wie gut die Türklinken in der Hand lagen, wie großartig es war, an der Brüstung der Loggia zu stehen in der Westsonne und die Ku’damm-Geräusche in der Entfernung zu hören, die Sonne malte Streifen auf die Dielen. Am Morgen das PloppPloppPlopp der Tennisplätze im stillen Herzen der Woga-Anlage, es war schön, vom Küchenfenster aus auf die sehnigen Beine der Spieler, ihre weißen Hosen und Hemden zu sehen, die Kraft, mit der sie die Schläge setzten, zu spüren. PloppPlopp, ein Ruf, ein Juchzen, ein Ball ins Aus, gerade vor dem Küchenfenster. Claire und Richard Kornitzer waren optimistisch, verliebt, sie hatten gute Berufe, sie hatten eine Zukunft, vor der

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