Landgericht
sie sich nicht fürchten mußten. Plopp, ob sie auch Tennis spielen wollten, fragten sie sich, aber dann war Claire schwanger, und die Frage nach den Tennisstunden wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Jetzt sah Kornitzer seine Frau manchmal an, wie er sie vor dem Beginn der Schwangerschaft nicht angesehen hatte, es war ein Innehalten, ein Warten auf das Mögliche, auf das ganz Andere in ihr und auch in ihm selbst, wenn sie ein Kind hätten. Es war ein ungläubiges Wohlwollen, das sich in alle Richtungen biegen und beugen und strecken konnte, aber zu dem Glück der Empfindung trug auch bei, daß es sich nicht wirklich richten ließ. Er, Kornitzer, hätte diesem unspezifischen Empfinden selbst eine Richtung geben müssen, aber durch diese Entscheidung hätte er es beeinträchtigt, möglicherweise vernichtet. Und so stand er starr und bewegungslos vor seinem Empfinden, dem, was ihn lebendig und biegsam gemacht hatte. Er sah, er fühlte den Widerspruch, war ihm aber auf unheilvolle Weise ausgeliefert.
Was Kornitzer an sich selbst beobachtete, war ein Sehen in der Möglichkeitsform, von der man die Wochen abschälen konnte, bis aus der Möglichkeit Wirklichkeit werden würde. Es war ein überraschendes Zerreißen aller Ähnlichkeiten, die er kannte. Er machte sich keine Sorgen um das ungeborene Kind, er machte sich eher Sorgen um seinen eigenen Blick, etwas Tastendes, Suchendes war in seinem Blick. Und wenn Richard Claire so ansah, mit leicht schräg gehaltenem Kopf, und dabei die Brille abnahm, so versuchte sie, sich mit seinen Augen zu sehen, ihre ungewohnte Rundlichkeit, Schwerfälligkeit, das machte sie unsicher, sie verließ das Zimmer und stellte sich auf den Balkon und atmete tief ein, so tief, daß sie das Kind spürte. Oder bildete sie sich nur ein, daß die klare Septemberluft ihrem Kind über den Kopf mit dem feinen Haarflaum in der Fruchtblase strich? Sentimentalitäten erlaubte sie sich nicht, aber dann trat Richard zu ihr auf die Loggia, küßte sie, stellte die Zärtlichkeit offen aus wie in einer Loge. Später sagte sie sich, daß sie möglicherweise seinen Blick ganz mißverstanden hatte.
Georg wurde an einem eisigen Wintertag geboren, es dunkelte schon, und Claire hatte einen ganzen Tag gekreißt, schon hoffnungslos, verzweifelt, daß dieses Kind ihren Leib einfach nicht verlassen wollte oder konnte. Es kam ihr vor, als kralle es sich mit Händen und Füßen, Fingernägeln und Zehennägeln an der Gebärmutterwand fest. Sie schob es auf die Kälte, aber das Kind konnte sie doch nicht spüren in der Zimmertemperatur, in einem pochenden, zuckenden, feuchtheißen Urwaldleib, in dem auch die Därme revoltierten in der langen Zeit der Anstrengung. Dann hörte Claire in der Stimme der Hebamme eine Begeisterung, und es war eine Stimme aus einer entfernten, archaischen Zeit: Das Köpfchen ist sichtbar, das Köpfchen, und Claire hatte kein genaues Bewußtsein davon, aber im nachhinein glaubte sie, gelacht zu haben während der Wehen, gelacht oder geweint, was fast das gleiche war in diesem extremen Augenblick der Anspannung: Das Köpfchen!, es war ein Bewußtsein eines Höhepunkts oder eines Tiefpunktes des Schmerzes, aber dann nach einer kurzen Bewußtseinstrübung doch auch ein Aufatmen, ein Jubeln: ja, dies war ihr Kind, ein Kind mit einem runden Schädelchen, feinen Fingern und Perlmuttfingernägeln, ein Kind, das seinen Eltern gleich nach seiner Geburt die Vorstellung suggerierte, es gäbe kein hübscheres. Ein Kind, das von Anbeginn an gut schlief und auch in der Wiege den Mund genüßlich verzog und dabei die Lippen vorstülpte, als sauge es an der Luft wie an der Brustwarze seiner Mutter. Aber in Wirklichkeit trank es nicht gut, träumte eher, wenn es trinken wollte. Man mußte Georg ermutigen, „wirklich“ zu saugen, er runzelte die Stirn, leckte sich bedachtsam die Lippen, bevor er damit die Brustwarze umschloß. Schau, sagte Claire zu ihrem Mann, er macht den Eindruck, als wolle er eingeladen werden zum Trinken. Vielleicht ist er nur zu schüchtern oder zu höflich, um gierig zuzuschnappen wie andere Kinder, meinte Richard darauf. Dieser Gedanke gefiel Claire. Ein höfliches, rücksichtsvolles Baby – ihr Sohn. Georg blieb ein zartes Kind. Hatte er denn keinen Hunger? Seine Mutter und sein Vater sahen ihn an, nahmen ihn auf den Arm, ihre Augen strahlten, und er gedieh ja, obwohl er wenig Milch zu sich nahm; gleichzeitig war ihnen wortlos klar, ihr Stolz war unangemessen, Mutterschaft und
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