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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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Bäuerin. Sie sind nicht bodenständig. Sie sind keine Britin. Sie werden an dieser Hochschule so ausgebildet, daß Sie einen Hof als Pächterin übernehmen könnten.) Und – ja, das klang sehr frauenfeindlich und war es auch, aber es entsprach den Tatsachen – wir, die Hochschul-Landwirte, müssen Sie darauf aufmerksam machen, kein Mensch wird Ihnen nach Abschluß des Studiums einen Hof anvertrauen. Sie werden studiert, präpariert, wie ein Ochs vor dem Berg stehen. So ungefähr drückten sich die landwirtschaftlichen Herren im feinsten, gewähltesten Englisch aus. Wie ein Ochs vorm Berg. Selma hatte sich das ruhig angehört. Sie wollte das nicht wissen und viel weniger noch akzeptieren, aber so war es. Man schlug ihr vor, es mit dem Gartenbau zu versuchen. Gemüse und Blumen, das sei doch weiblicher. Aber sie wollte Landwirtschaft studieren, die Kühe, die Lämmer, die Pferde hatten es ihr angetan. Als Berliner Pflanze wollte sie eine graduierte, prämierte Bäuerin werden, der Begriff Agronomin war ihr unbekannt. Vermutlich, dachte ihr Vater, möchte sie mit Mrs. Bosomworth, der so geliebten Pflegemutter, die weggezogen war nach Sansibar, mit Mrs. Hales, die sie enttäuscht und der sie verziehen hatte, konkurrieren und sie übertrumpfen. Beide hatten vermutlich keine landwirtschaftliche Ausbildung, sondern waren in das Bauernleben mit ihrer Eheschließung wie ins kalte Wasser gesprungen, wenn das nicht eine inakzeptable Beschreibung einer Liebesbeziehung war, die nun mal mit einem Mann, einem Hof und Tieren und allerhand sonst zu tun hatte. (Oder waren sie Bauerntöchter? Mrs. Hales hatte jedenfalls nicht so gewirkt.) Auch Kornitzer schlug heimlich die Hände über dem Kopf zusammen, die Großmutter noch in einer Prachtwohnung am Kurfürstendamm, ein promovierter Vater aus einer Ku’dammseitenstraße, und die Tochter möchte ihr Leben mit der Forke in der Hand bestreiten. Nun ja, ein wenig Dünkel war auch dabei. Und er bemühte sich, so ruhig wie möglich Selma auseinanderzusetzen, daß eine Ausbildung, eine Fachrichtung, deren Wissen man mit dem Kopf überall hintragen könnte, die beste sei. Sieh mich an, Selma, ich mußte Deutschland verlassen und brachte meinen juristischen Sachverstand nach Kuba und zurück in ein anderes Deutschland.
    Aber Selma war dickköpfig wie eh und je und sagte: Ich kann überall in der Welt Landwirtschaft betreiben, in Israel oder in Sansibar. Und Kornitzer wußte, er richtete nichts aus, und gab grollend seine Einwilligung. (Daß sie tatsächlich ihr Studium in den Sand setzte, stand auf einem anderen Blatt. Und daß sie diesen Sand nur durch Einheirat in einen Bauernhof aus den Kleidern hätte schütteln können, was sich nicht ergab, merkte Selma erst später. Die Herren beim Bewerbungsgespräch hatten mit ihrer Warnung recht gehabt und auch ihr Vater mit seinem Grollen. Sie mußte ihre eigene schmerzhafte Erfahrung machen und entschloß sich später zu einem zweiten Studium, um Lehrerin zu werden. Da war sie schon für sich selbst verantwortlich.)
    In dieser Zeit bekam Kornitzer Post von der Kindergeldstelle des Ministeriums, nur eine Anfrage, ein Formular, das auszufüllen war. Er beziehe Kindergeld für seine zwei Kinder mit Namen Georg und Selma, die Geburtsdaten der ziemlich erwachsenen Kinder waren aufgelistet, doch offenbar lebten die Kinder nicht in seinem Haushalt. Es stand nicht in dem Brief, er habe zu Unrecht jahrelang Kindergeld bezogen (doch die Vermutung stand im Raum). Es war von Nachweisen die Rede, Nachweisen über den Aufenthalt der Kinder, seinen Unterhalt für sie. Er fühlte sich gedemütigt. Wie kam der Verdacht zustande? Er war wütend, wedelte mit dem Brief vor Claires Nase herum: Es ist nicht unsere Schuld, daß die Kinder nicht bei uns leben, und nun sollen wir noch dafür bestraft werden. Nimm es nicht so schwer, es ist nur eine Formsache, mahnte ihn Claire vernünftig. Wir schreiben gemeinsam ans Ministerium, als Ehepaar. Sie sammelten Studienbescheinigungen, listeten die Besuche der Kinder auf, schrieben, die Kinder kämen in allen Schulferien nach Deutschland. Wir nähren sie, wir kleiden sie, kaufen Bücher und Studienmaterialien, schrieben sie, aber sie machen eine „ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechende“ Ausbildung in England. Das war auch nicht ganz wahr, es klang diplomatisch. Kornitzer schrieb den Begleitbrief auf der alten Schreibmaschine, auf der er auch die Anträge in Bettnang geschrieben hatte. Wie gut, daß uns wenigstens

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