Landgericht
vorgestellt hatten, rosiger, schlichter, weniger schäbig und an den Nerven zerrend? War Leben Kino, war die Kasse Leben? Alles hatte mit allem zu tun, es brauchte eine ordnende starke Hand. Planen und Bauen, ein großes Rad Drehen waren ein Vabanquespiel geworden, aber eines von großer Eleganz. Man zog sich gut an, wenn man ins Kino ging, als wolle man mit den Helden und Heldinnen auf der Leinwand konkurrieren, nicht im Dunkeln sitzen und schauen, sondern angeschaut werden vor und nach dem Kino und die Gesten nachahmen, sich lasziv über die Haare streichen, verrucht im Zigarettenrauch die Lider senken und anderntags wieder zur Arbeit gehen und fürchten, daß man entlassen wird. Für eine Kinokarte würde das Geld noch reichen, immerhin. Aber warum sollte ein junger dynamischer Mensch wie Dr. Richard Kornitzer sich fürchten? Auch Claire mit ihrer Firma, mit ihrer Berufsausrichtung zwischen Geld und der modernen Kinokunst, hatte erfreut in die Hände geklatscht, ja, das Universum war ein großartiges Kino, Werbung und Massenkultur waren vornehm gezähmt, gebändigt und in eine produktive Richtung gelenkt, nichts war dem Zufall überlassen. Mendelsohn war ihr Mann (symbolisch), dem vertraute sie. Sie hatte ein Photo von ihm gesehen, darauf trug er einen weißen Anzug, der imponierte ihr in seiner Makellosigkeit; im Kino gab es solche Anzüge, Rudolf Forster trug weiße Anzüge, wenn er dekadente Lebemänner spielte, denen die Frauen zuflogen wie die Schmeißfliegen. Und er huldigte ihnen, als wären es Prinzessinnen aus einer anderen Zeit und keine Filmstars. Ein Gerichtsassessor konnte freilich kein Weiß tragen, es wäre unpassend und flatterhaft, künstlerhaft erschienen. Daß der Architekt Mendelsohn auch Kleider für seine Frau entwarf, konnte Claire nicht wissen, es hätte ihr aber sehr imponiert. Die kurvige Linie des Entwurfs für das Kino machte sie glücklich (die Freude, mit Richard zusammenzusein, natürlich auch, auf andere Weise, das war nicht zu vergleichen). Mit dem Architekten Erich Mendelsohn wollte sie ein Stück weitergehen, er war eine halbe Generation älter als Richard Kornitzer und sie. Seine bedingungslose Modernität des Bauens wurde behindert durch die Krise, durch die schwankende Ökonomie. Und ihr Bräutigam, der frischgebackene Justizassessor kurz vor dem Eintritt ins Richteramt, hatte über ihren Eifer, ihren das ganze Gesicht errötenden Eifer ein bißchen gelächelt, aber er verstand sie, verstand sie vollkommen. Er zeigte Freude und Begeisterung anders als sie, hielt sich eher bedeckt.
Hier das Kino, das überaus schöne Kino, das andere in Berlin überstrahlte, dort der Kurfürstendamm mit seinem ratternden Verkehr und seinem Kommerz. Vom Eingang des Kinos ging man ein paar Stufen ins Foyer hinunter auf elfenbeinfarbenen Steinquadern (Solnhofer Marmor), die auf magische Weise in elfenbeinfarbene Wände übergingen. Schleiflackwände, die sehr geheimnisvoll indirekt beleuchtet wurden. Die Decken darüber waren tiefblau, ein Abendhimmel, der auf den dunklen Kinoraum vorbereitete, und die Treppen in den Rang hinunter waren ebenfalls tiefblau, mit opulenten Teppichböden belegt. Das Kassenhäuschen stand wie ein Fels in der Brandung der anflutenden Zuschauer. Es war ein Pavillon aus Milchglas und Bronze auf einem Natursteinsockel. Das indirekte Licht im Foyer signalisierte vornehme Intimität und gleichzeitig eine Strenge, es hatte die Wirkung, als schwebten die Wandflächen wie frei aufgehängte Vorhänge im Raum. Der Kinoraum selbst hatte Paneele aus Mahagoni, man saß auf Sesseln aus ziegelrotem Samt, die Leinwand war angebracht hinter einem äußeren Vorhang, ebenfalls in Ziegelrot, und einem inneren Vorhang in einem Goldton. Das war ein Zugeständnis an den Publikumsgeschmack, hob sich aber gewaltig von allen weinroten Theaterseligkeiten ab. Der ovale Raum war so konzipiert, daß alle Konzentration auf die Leinwand gerichtet war, nichts sollte ablenken. Das Universum war das erste Kino in Berlin, das für die Präsentation der neuen Tonfilme konzipiert war, deshalb hatte es nur noch einen ganz schmalen Orchestergraben, aber die besten Lautsprecher. Das was das Universum, das Claire liebte, ein perfekter Bau, dem Richard Kornitzer ein wenig distanzierter gegenüberstand, aber er sah die Begeisterung seiner Verlobten und stand ihr nicht im Wege, ja, er beförderte sie.
Das Kino Universum, das 1.800 Zuschauer faßte, und daneben das Kabarett der Komiker, das Café Astor, eine
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