Landgericht
nicht tat, konnte nach Paragraph 6
im Interesse des Dienstes
zwangspensioniert werden. Andere wiederum wurden zwangsweise beurlaubt, weil sie
national eingestellte Referendare
benachteiligt haben sollten oder wegen
nationaler Unzuverlässigkeit
. So konnten alte Rechnungen beglichen, Rache an fähigen, aber mißliebigen Ausbildern genommen werden. Auf einen Schlag waren in Preußen 640 jüdische Juristen beurlaubt worden; schöne Stellen wurden frei und wurden mit Parteigängern besetzt. Paragraph 4 drohte:
Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden
. Es konnten auch Beamte
zur Vereinfachung der Verwaltung
in Pension oder Richter und Staatsanwälte an niedere Gerichte in der Provinz geschickt werden, was manche auch dazu brachte, um ihre Pensionierung zu bitten. Der Willkür war Tür und Tor geöffnet, aber immer konnte auf einen Paragraphen zur Rechtfertigung verwiesen werden. Für fast alle Richter und Staatsanwälte jüdischer Herkunft war die Situation im Mai noch unverändert, sie waren beurlaubt und wurden überprüft. Sie hatten Auskunft zu geben über ihre Zugehörigkeit zu politischen Parteien und Verbänden und über ihre vier Großeltern. Listen wurden geführt über die Versetzung in den Ruhestand oder die Entlassung aus dem Staatsdienst mit den entsprechenden versorgungsrechtlichen Konsequenzen. Im Herbst 1933, ein halbes Jahr nach der Verabschiedung des Gesetzes, war der Vollzug weitgehend abgeschlossen, und man hatte erreicht, die Betroffenen untereinander so zu spalten, daß für jeden andere Maßnahmen und Paragraphen galten als für seinen Kollegen.
Rasender Stillstand. Der Hinauswurf aus dem Gericht war das eine, die Anpöbelung war das andere. Kornitzer vergrübelte Stunden an seinem Schreibtisch, prüfte Adressen, setzte Bewerbungsschreiben in alle vier Himmelsrichtungen auf. Er war sich nicht sicher, ob er sich als jemand, der vom „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ betroffen war, bewerben sollte, also ein rassisch Ausgegrenzter, oder ob er unter Weglassung seines Doktortitels sich als jemand bewerben sollte, der eine Veränderung in seinem Berufsleben suchte. Die erste Lösung appellierte an einen anständigen Arbeitgeber, der sich nicht von der Nazipropaganda beeindrucken ließ. Die zweite setzte eher auf den Sonderfall: Der Bewerber ist ein Außenseiter, ein Quereinsteiger, dazu mußte ein Arbeitgeber eine Neigung haben. Nur eines hatte sich Kornitzer verboten: demütiges Betteln, nervöses Drängeln. Es war ein dauerndes Kopfdrehen, ein angespanntes Lauschen nach Möglichkeiten zu arbeiten. Ein Durchforsten von Anzeigen, ein Zusammenrücken, ein Zusammenzucken, ein Aufgestörtsein, eine Alarmiertheit. Er war hinausgeflogen aus dem Richteramt, der Staat wollte ihn nicht mehr, was sollte ihm sonst noch geschehen?, fragte er sich. Vergrab dich nicht, Richard, sagte Claire. Geh ins Kino. Als sie die Ermunterung ausgesprochen hatte, kam sie ihr selbst lächerlich vor, aber als sie in Richards Gesicht sah, merkte sie, daß sie ihn mit ihrem simplen Vorschlag auch verletzt hatte. (Ein Menschenalter später würde ein amerikanischer Präsident an dem Tag, an dem die zwei Türme in New York angegriffen wurden und ausbrannten vor den Augen der Welt mit den dort Anwesenden und Arbeitenden, die Bürger seines Landes anweisen:
Go shopping!
)
Am 30. April 1933 vormittags fand in Berlin eine Kundgebung zum Thema „Deutsche Werbung für deutsche Arbeit!“ statt. Hans Hinkel war anwesend, der „Reichskulturwalter“ des „Kampfbundes für deutsche Kultur“, der bald Staatskommissar für Kultur werden sollte, und Freiherr von Oberwurzer, der Wirtschaftsbeauftragte der NSDAP, und beide sprachen auf der Kundgebung. Der Redakteur des renommierten Branchenblattes „Seidels Reklame“ schrieb einen Bericht:
Beide Redner rissen die Anwesenden mit und gaben ihnen ein erfreulich eindeutiges unmißverständliches Bild von der grundsätzlichen Einschätzung des neuen Deutschlands zu den kulturellen und wirtschaftlichen Problemen unserer Zeit! Nach der Proklamation der Werbefachleute beschloß die von Orgelmusik, dem gemeinsamen Gesang der Nationalhymne und des Horst-Wessel-Liedes umrahmte Kundgebung die feierliche Verpflichtung der anwesenden Werber, sich und ihre Arbeitskraft jederzeit und uneigennützig für das Wohl der deutschen
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