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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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Tage platzte die Verordnung vom 22. August 1933, daß ab sofort am Wannsee Juden das Betreten der Badeanstalt verboten war. Kornitzer las die Verordnung, las sie zweimal, dreimal, fassungslos über die Demütigung, fassungslos, daß dies das letzte Sommerglück gewesen war. Daß die Machthaber ausgerechnet das Badevergnügen mit Sanktionen belegten, machte ihm klar, jede körperliche Nähe zwischen Ariern und Juden sollte und mußte verboten werden. Das Tauchen in dasselbe Wasser, das zufällige Berühren der Körper im Wasser, die Nähe eines arisch-nicht-arischen Paares im Wasser, auf dem Strand, auf dem Handtuch, das auf den Strand gebreitet war, all das wurde tabuisiert. Daß ausgerechnet das Baden sanktioniert war, eine unsichere und gleichzeitig platte und primitive Anspielung auf die Mikwe, auf die Erotik des Schauens, Berührens, die in allen Badevorgängen eine Rolle spielte, empörte ihn. Er zeigte Claire schweigend die Verordnung, sie las sie, schaute ihn an mit ihren algengrünen Augen und sagte ruhig: Wir werden anderswo schwimmen gehen. Das war lieb gemeint, heilte aber nicht seine grundsätzliche Verletzung, die die Machthaber gezielt wie mit einem Nadelstich gesetzt hatten: Juden waren unsauber, es verbot sich, Körpersäfte mit den ihren zu mischen, es verbot sich die gemeinsame Nacktheit, ja, es verbot sich die Intimität, nicht nur das Baden im Wannsee, in allen möglichen Schwimmbädern war es verboten. Das Verbot des harmlosen Schwimmvergnügens, das war ihm klar, zielte auf jegliche Intimität zwischen Juden und Ariern, seine Ehe war bedroht, die Intimität mit Claire war bedroht, obwohl sie das nicht so sehen wollte. Es ging darum, die Meinung durchzusetzen, Juden seien eine fremde, bösartige Rasse, die eine Gefahr darstellte für die gutartige Rasse der Arier. Claire war dann besonders zartfühlend ihm gegenüber, er spürte das, aber es drang nicht wirklich zu ihm. Sie gibt sich Mühe, sagte er sich, sie gibt sich so viel Mühe. Aber das half ihm nicht, er registrierte es. Er erinnerte sich daran, wie seine Mutter ihm erzählt hatte, daß ihre Hochzeitsreise auf die Insel Borkum ihr und dem Vater grundsätzlich verdorben worden war durch den schon im Wilhelminismus herrschenden Bäder-Antisemitismus. Deutlich habe man ihnen zu verstehen gegeben, daß Juden (oder Menschen, die aussahen, als könnten sie Juden sein) in den Strandhotels unerwünscht waren. So war das junge Paar weiter nach Antwerpen gereist und hielt sich bei den gewaltigen Rubens-Gemälden auf und vergaß die Kränkung wieder.
    Richard und Claire kamen dann von einer Premiere nach Hause, gut angezogen, gut gelaunt, aber auch beklommen. Mit wem haben wir geredet? Nur ein paar Mal mit dem Kopf genickt. Mit wem hast du, Claire, Verabredungen getroffen? Mit niemandem. Und wer hat mit dir, Richard, das Gespräch gesucht? Ich weiß es nicht, wirklich, ich weiß es nicht. Es wäre besser, Claire, du gingest zu der nächsten Premiere allein. Claire protestierte heftig, nicht nur der Liebe wegen, auch weil es gänzlich unüblich war, daß eine Frau allein zu einer Premiere kam, es sei denn, sie käme zu einem bestimmten, sehr durchsichtigen Zweck. Eine Dame mußte doch in ein Auto verbracht werden, ihr zarter Ellenbogen mußte doch auf dem Weg eine Treppe hinauf gestützt werden, ihr Mantel an der Garderobe geholt werden, sie brauchte einen Beschützer. Gab es den nicht, schien das unangemessen, ein Makel. So war die allgemeine Vorstellung, die Claire und Richard Kornitzer nicht teilten, aber sie hatten teil an der Gesellschaft, die so dachte. Auch wenn die Frau eine Firma regierte und sie machtvoll war in ihrem Gebiet, aber doch nur in ihrem Gebiet, sollte jemand an ihrer Seite sein.
    Kornitzer gelang es nach sieben Monaten, eine Arbeitsstelle zu ergattern. Er wurde Prüfer in einer Glühlampenfabrik und mußte dankbar dafür sein, daß niemand ihm groß Fragen stellte und er keine weitreichenden Erklärungen abgeben mußte. Er war eingestellt worden mit seinen Papieren, ein Fließband tuckerte an seinem Platz vorbei, dort hatte er sitzen zu bleiben bis zur Pause. Die linke Hand griff, faßte die Glühbirne, setzte sie auf den Kontakt, sie leuchtete auf, die rechte Hand zog sie weg, steckte sie aufrecht in einen Karton, die linke Hand griff die nächste Birne, die rechte zog sie weg, es war wie ein dauerndes Paddeln oder ein Crawlen, bei dem aber die Schultern und Oberarme möglichst kleine Bewegungen machten, während die Gelenke der

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