Landgericht
Arbeit einzusetzen
. Auch in der Werbung habe der Geist des neuen Deutschlands gesiegt. In der kommenden Zeit solle
kein Platz mehr sein für ausländische Reklame, die nicht der deutschen Wesensart entspricht
. Im darauffolgenden Jahr entzog der Werberat 37 Werbetreibenden auf Dauer die Genehmigung zu werben (mit anderen Worten: den Boden unter den Füßen), und gleichzeitig sprach er 76 Maßregelungen und Verwarnungen aus, wenn die Werbung nicht in das neue Konzept paßte.
Reklame
, das war eindeutig, war
im Grunde nichts als ein Überbleibsel jüdisch liberalistischer Wirtschaftsauffassung
, ein verhaßtes Überbleibsel aus der Weimarer Zeit.
Nein, Richard Kornitzer wollte nicht mehr ins Kino gehen, seit er gelesen hatte, Hitler sei zusammen mit Hugenberg und von Papen in einer Filmpremiere erschienen, was das für eine Filmpremiere war, wollte er gar nicht wissen, auch nicht, wofür Claire jetzt werben könnte vor einem Film, von dem er nichts wissen wollte. Claire fürchtete, er wolle auch von ihr nichts wissen an dem Abend nach dem unglückseligen Vorschlag, er wolle sich in seiner Verletzung zurückziehen, in einem Kokon, aber in der Dunkelheit der Nacht spürte sie ihn, sein Zittern, sein Tasten nach ihrem Körper, sein Sich-Aufbäumen. Es war nicht so, daß er Zuflucht im Körper seiner Frau suchte, es war eher so, daß die äußere Bedrohung, die Schutzlosigkeit ihn den eigenen Körper und seine Empfindsamkeit, Empfänglichkeit für Eindrücke, für Glück stärker fühlen ließ. Es war ein Triumph des Abgewandten, der Intimität, des dem Brüllen und Schreien auf den Straßen Versperrten, die Liebe öffnete sich auf leise, eindringliche Weise, vielleicht, als wären sie vorher noch gar kein „richtiges“ Paar gewesen. Ein Ehepaar mit einem kleinen Jungen, einem Kindermädchen und einer schönen Wohnung, das die Paarwerdung noch übte und sich an einem Gelingen freute. Das Eheleben war jetzt eine Gewißheit in der Ungewißheit, ein Geschenk aneinander, füreinander, das die Körper nach dem Höhepunkt noch eine Weile durchschüttelte, außer sich brachte, als wolle etwas bersten, für das sie beide keinen Namen hatten. Es schwindelte Claire. Sie half sich, indem sie leise ins Bad tappte, sich wusch, die Ordnung des Tageskörpers für die Nacht wiederherstellte, es war ein ganz untaugliches Mittel, eher ein Symbol.
Am Morgen irritierte sie jetzt das PloppPloppPlopp der Tennisbälle im Innenhof des Woga-Komplexes. Wer spielte da so leichthändig, während die Kornitzers Sorgen drückten, die sie in der Dunkelheit der Nacht zu bannen suchten? Was dachten die Tennisspieler beim Spiel, was hatten sie am Abend zuvor gemacht, mit wem hatten sie zusammengehockt, um sich Chancen auszurechnen, um zu kungeln, was hatten sie gesehen, was hatten sie gelesen? Und wie verbrachten sie den Tag? Mit wem? Und wie hatten sie sich gewandelt in den paar Jahren des Woga-Baus? Ihre Körper gestählt? Die Vorstellungen von ihrem Leben? Ihre Vorstellungen, in welchem Staat sie leben wollten? Waren diese Vorstellungen überhaupt mit dem morgendlich frischen Tennisspiel in Übereinstimmung zu bringen? Der weiße Sport und die braunen Horden: das ging nicht zusammen. Einmal brach Claire in Tränen aus, während sie aus dem Fenster auf die weißgekleideten Spieler sah, sie würde nicht mehr zu ihnen gehören, und Richard auch nicht. Georg vielleicht, später mal. Und ihr Tränenausbruch, den Richard ihr aus dem Gesicht rieb, kam ihr peinvoll und jämmerlich vor im Angesicht der großen Probleme. Dr. jur. Richard Kornitzer, ihr Mann, durfte unter diesem Regime nicht mehr in seinem Beruf, den er liebte, arbeiten. Ihr kleiner Sohn müßte, wenn er ein Schulkind wurde, über Vater und Mutter und ihre Einstellungen zu diesem und jenem berichten, auch über die Geburtskonstellation war Auskunft zu geben. Das überforderte das kleine Kind, das verstörte die Eltern. Was waren sie, ein Ehepaar, das die familiären Tabus ignoriert hatte? Ein Jude, der einfach eine Protestantin geheiratet hatte, und eine Protestantin, die mit einem geborenen, aber nicht gläubigen Juden sprach, sprach, sprach, bis er ihre Freude, er möge mit ihr eine protestantische Kirche aufsuchen und sich zu ihr bekennen, verstand, aber ihr nicht nachgab? Darin war eine Fraglosigkeit der Liebe, keine Überschreitung, kein Übertritt und auch kein Fehltritt. Aber es gab keinen Altar, vor den sie gemeinsam hätten treten können. Die Orte der Gemeinsamkeit waren Orte der
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