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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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Ellenbogen, Handgelenke belastet wurden. Er mußte schnell sein und präzis, und alle abschweifenden Gedanken waren von Übel.
    Dann fühlte Claire sich schwanger, und das plötzliche Weinen hatte vielleicht eine nachträgliche vernünftige Erklärung. Die Ahnung von der zweiten Schwangerschaft war ein Erschrecken, geht das denn?, geht das noch?, der enger werdende Radius, die Sorgen, die Zukunftsangst. Es kam ihr vor, als verletze die Schwangerschaft die große Intimität, die sie mit ihrem Mann gewonnen hatte, seit sie sich abschotteten vor dem Draußen. Die vermutete Schwangerschaft, die ja eine Folge der großen Intimität war, drängte sich zwischen sie und ihren Mann. Zwei Wochen tat sie gar nichts, grübelte, wartete auf einen einzigen Blutfleck in ihrer Wäsche, starrte die weiße Baumwolle so lange an, als könne sie sie mit einem machtvollen Blick zum Erröten bringen, aber so war es nicht. Als der Arzt ihr gratulierte, sah sie ihn irritiert an und verabschiedete sich rasch. Am Kurfürstendamm betrat sie seit langem zum ersten Mal wieder ein Café und bestellte eine Tasse Schokolade. Während die heiße Flüssigkeit in sie hineinsickerte, dachte sie nichts, nichts, und sie beobachtete sich in der bestürzenden inneren und äußeren Leere. Ihr Mann, zurückgekehrt aus der Glühbirnenfabrik, nahm die Nachricht von der Schwangerschaft vollständig anders auf, als sie erwartet hatte. Claire, sagte er, und seine Stimme kiekste ein bißchen: Wie schön für Georg, dann ist er nie mehr allein. Ihr großes Aber überhörte er. Und was er dann noch sagte, über eine Familie, über eine große Familie, die er sich immer gewünscht hatte als einziger Sohn, der seinen Vater früh, noch als Quartaner, verloren hatte, war wie Rauschen, sie hörte es, und sie hörte es nicht, ein beruhigender Wasserfall, dem kein Widerspruch gewachsen war. Sie bewunderte Richards Mut (oder war es eher Gleichmut?), in seiner Gegenwart schien alles harmonisch zu sein oder harmonisch werden zu wollen. Es wird schon gehen, und es ging ja auch. Die zweite Schwangerschaft, die ihr am Beginn wie eine unendliche Last vorkam, war leichter als die erste. Richard fuhr mit seiner Fingerspitze häufig die blauen, sich abzeichnenden Adern auf ihrer gespannten Bauchdecke entlang, als wäre dieser Bauch ein zu entdeckender Kontinent mit Flüssen und Wasserscheiden, etwas unerhört Neues, das er freudig in Besitz nahm. Das Kind bewegte sich so heftig in ihrem Leib, Beinschläge fürs Delphinschwimmen, es strampelte und purzelte, pochte, als wolle es unbedingt Laut geben, sobald es das konnte.
    Selma war ein Frühlingskind, ein lebhaftes, kräftiges Kind, das in der Wiege laute Unmutsäußerungen von sich gab, nicht so träumerisch wie der kleine Georg. Er nahm die Anwesenheit der Schwester mit Erstaunen auf, zeigte ihr das geliebte Feuerwehrauto, eine vergebliche Liebesmüh, aber wenn sie gebadet wurde, nahm er lebhaften Anteil, hatte genaue Vorstellungen, daß Cilly oder Claire auch die Zwischenräume der Finger und Zehen und den schmalen Raum hinter den Ohren waschen sollten. Seine Enttäuschung, daß Selma noch ziemlich klein war, versuchte er zu kaschieren, aber sie stand doch deutlich in seinem Gesicht. Selma war nicht mal ein halbes Jahr alt und Georg gut dreieinhalb Jahre, als die Nachricht kam, ab dem Jahr 1936 würde in den Volksschulen die Rassentrennung eingeführt. Richard und Claire berieten: Galt das auch für Kinder eines jüdischen Vaters und einer protestantischen Mutter? Wo konnte man sich erkundigen? Und würde man nur Argwohn erregen, wenn man Erkundigungen einzog?
    Einen Tag nachdem die Verordnung über die Volksschulen herauskam, wurde wieder eine neue Bestimmung bekanntgegeben: in Zukunft seien für Juden nur noch Pässe für das Inland auszustellen. Sofort tastete Kornitzer nach seinem Paß, ja, er war noch gültig, blieb noch einige Jahre lang gültig. Das war beruhigend und gleichzeitig eine Bedrohung. Was bedeutete dieser Paß für Claire und die Kinder? Nur im Notfall wollte er von diesem Paß Gebrauch machen. Seine Mutter war allein in Berlin, immer noch in der zu großen Kurfürstendamm-Wohnung, und wohin mit zwei kleinen Kindern, einer Frau, deren ökonomische Aussichten sich zusehends verschlechterten, und einem unsicher gewordenen Beruf? Wieder vier Tage später, am 15. September 1935, traten die Nürnberger Gesetze in Kraft. Ihr Paragraph 1 hieß:
Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder

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