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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkoetter
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spätabends noch zu Jamaine in die Kneipe gegangen. Er hatte sich an den Tresen gesetzt und in sein Bier gestarrt, und Jamaine war sensibel genug gewesen, ihn in Ruhe zu lassen. Hambrock hatte das alles nur schwer verdauen können. Das Geständnis war für ihn frustrierend gewesen. Nachdem Zweifel an der Schuld der drei Gymnasiasten aufgekommen waren, hatte er gehofft, der Mord wäre weniger sinnlos gewesen. Mit einem echten Motiv ließe sich die Tat besser erklären. Nun hatte er den Mörder, und trotzdem blieb alles genauso sinnlos wie zuvor. Es gab keinen wirklichen Grund für die Tat. Früher hätte ihm so etwas nicht zu schaffen gemacht, doch mit dem Alter wurde Hambrock sensibler, dagegen konnte er nichts unternehmen.
    Am Vormittag war er zum Sonnenhof hinausgefahren, um nach Fabio zu sehen. Als er auf den Hof fuhr, war der blonde Lockenschopf schon von Weitem zu erkennen. Fabio jagte mit einem anderen Jungen einem Basketball hinterher. Nur widerwillg löste er sich von dem Spiel, um Hambrock zu begrüßen. Die Sozialarbeiterin trat zu ihnen und erzählte, wie gut sich Fabio bereits eingelebt hatte. Er verstand sich mit den anderen Bewohnern, fühlte sich offenbar rundum wohl und wollte sogar wieder zur Schule gehen.
    »Wir haben ihn hier in Mecklenbeck angemeldet«, sagte die Sozialarbeiterin. »Da geht er dann mit seinem Zimmergenossen in eine Klasse. Die beiden mögen sich, und die Schule ist gut. Ich bin ganz zuversichtlich, dass das funktionieren wird.«
    Fabio lächelte ein wenig verlegen. Es schien ihm unangenehm zu sein, zwischen zwei Erwachsenen zu stehen, die über ihn redeten. Außerdem blickte er immer wieder zu seinem neuen Freund, der mit dem Basketball am Scheunentor stand und auf ihn wartete.
    »Du hast sicher schon erfahren, dass der Mordfall jetzt gelöst ist«, meinte Hambrock.
    »Ja, hab ich. Der kleine Bruder war das, richtig?« Er zog eine Grimasse. »Dann hatten die Nazis gar nichts damit zu tun?«
    »Nein, jedenfalls nicht mit dem Übergriff auf Marius.«
    »Tut mir leid. Ich wollte nur helfen.«
    »Schon gut. Ich bin ja froh, dass dir nicht mehr passiert ist. Du machst so was hoffentlich nicht wieder.«
    »Nein, versprochen.«
    Die beiden sahen sich an. Hambrock lächelte. Es gab nichts mehr zu sagen.
    »Ich muss jetzt leider weiter«, erklärte er, damit Fabio zu seinem Spiel zurückkonnte. »Wenn du möchtest, komme ich dich wieder mal besuchen.«
    »Ja, gerne«, sagte Fabio, doch es war beiden klar, dass es wahrscheinlich bei dem Versprechen bleiben würde.
    »Mach’s gut«, sagte Hambrock.
    Fabio grinste und winkte ihm zu, dann drehte er sich zum Scheunentor, lief zu seinem Freund und fing den Ball auf, den er ihm entgegenwarf.
    Hambrock verabschiedete sich von der Sozialarbeiterin und kehrte zurück zum Wagen. Er blieb kurz stehen und sah zurück zu Fabio, der den Ball in den Korb warf und einen Treffer erzielte. Dann wandte er sich ab und stieg ein.
    Das Bild von Fabio, der sich in seinem neuen Zuhause pudelwohl fühlte, ging Hambrock den ganzen Tag nicht aus dem Kopf. Auch jetzt, als sein Kollege ihn nach Hause fuhr, war es ständig vor seinen Augen.
    »Es soll morgen wärmer werden«, sagte Keller mit der Zigarette im Mundwinkel. »Und sonniger. Ich glaub’s ja noch nicht. Aber im Radio heißt es, der Frühling soll endgültig kommen.«
    Hambrock betrachtete nachdenklich das Gebäude des Landgerichts, das langsam aus seinem Blickfeld rückte.
    »Was ist eigentlich mit deinem Sohn?«, fragte er.
    »Wegen dem Prozess?« Keller stöhnte auf. »Alles noch mal gut gegangen. Er hat eine kleine Geldstrafe bekommen. Und ein paar Sozialstunden. Die will er in einem Pflegeheim ableisten. Ich bin ja mal gespannt, wie das wird. Einer seiner Bekannten hat da mal Sozialstunden abgeleistet und war so begeistert, dass er jetzt nach der Schule eine Ausbildung zum Altenpfleger machen will.« Keller lachte schallend. »So weit wird das mit unserem Jungen sicher nicht gehen, wie ich ihn kenne. Aber trotzdem. Mal sehen, was er für Eindrücke mitbringt.«
    »Das hört sich doch gut an«, sagte Hambrock.
    »Ja. Ich sag’s dir: Familie.« Keller lachte erneut. »Man hat nur Stress und Ärger damit, aber am Ende ist es das Beste, was man auf der Welt bekommt.«
    Hambrock ließ den Blick über die Stadtlandschaften schweifen. »Ja«, sagte er. »Das ist es wohl.«

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