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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht
Autoren: Stefan Holtkoetter
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Marius keinen Streit scheuen.
    »Was ist? Passt dir mein Gesicht nicht?«, rief er. »Kümmer dich gefälligst um deinen eigenen Kram und starr mich nicht so an!«
    Zu seiner Überraschung sah der Marine zu Boden. Als wollte er jedem Ärger aus dem Weg gehen. Der Zug fuhr langsamer, der Bahnhof rückte ins Blickfeld, die Türen glitten auseinander. Der Mann schwang seinen Rucksack über die Schulter und stieg aus. Breitbeinig wie ein Cowboy schritt er davon.
    Marius massierte sich die Schläfen. Die Türen schlossen sich, und der Zug fuhr weiter. Der Alkoholiker war inzwischen eingeschlafen. Die Frau mit dem Kopftuch hatte die Zeitung beiseitegelegt und sah hinaus in die Nacht. Als Marius den Blick schweifen ließ, bemerkte er das forschende Spähen des Gothic-Typen mit der Kutte. Offenbar sah man Marius doch an, wie schlecht es ihm ging.
    »Was glotzt du so?«, rief er.
    Der Typ senkte eilig den Kopf. Auch er sagte nichts. Die anderen im Abteil sahen kurz auf, und Marius warf allen böse Blicke zu.
    Heute Morgen im Bad hatte er eine Falte auf seiner Stirn entdeckt, die bisher nicht da gewesen war. Eine kleine aggressive Furche, senkrecht über seiner linken Augenbraue. Sie sah aus, als würde sie dauerhaft bleiben. Aber das war wohl kein Wunder nach den letzten Wochen.
    Doch jetzt würde sich alles wieder beruhigen. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Es gab kein Zurück mehr, und beinahe war er erleichtert. Er leerte seine Bierflasche.
    Die nächste Station wurde angesagt: Gertenbeck am See. Er stand auf, kämpfte ums Gleichgewicht und wankte zum Ausgang.
    Die Türen glitten auseinander, und er stolperte nach draußen. Kalte Luft empfing ihn. Er blieb stehen und atmete durch. Der Bahnsteig war in orangefarbenes Licht getaucht. Eine hölzerne Überdachung war zu erkennen, die Unterführung und das Bahnhofsgebäude. Drum herum gab es nur Dunkelheit. Menschen hasteten an ihm vorbei. Ein Anzugträger, ein Händchen haltendes Pärchen, der Handwerker im Overall.
    Marius schloss kurz die Augen. Er wurde angerempelt und stolperte zur Seite. Es waren drei Jugendliche mit Basecaps, Lederjacken und Jogginghosen, die machohafte Posen probten und dabei wie Laiendarsteller aussahen. Auf eine Entschuldigung wartete Marius vergebens.
    »Hey, passt doch auf!«, rief er.
    Sie ignorierten ihn und gingen weiter.
    Marius spürte seine Wut.
    »Idioten!«
    Jetzt blieben sie stehen und drehten sich um. Die Oberarme leicht abgespreizt, als hätten sie Rasierklingen unter den Achseln. Sie waren höchstens achtzehn. Einer mit einem auffallend hübschen Gesicht. Zart und engelsgleich, ein richtiger Chorknabe. Die Ghettomode passte so gar nicht zu ihm.
    Aber auch die anderen beiden gaben kein besseres Bild ab. Der eine von ihnen hatte einen Überbiss und ein pickliges Gesicht und sah aus wie ein typischer Münsterländer Bauernjunge. Der Dritte wirkte mit seinen braven Zügen und seinem Kassengestell trotz der Posen wie ein Klassenprimus. Alles in allem standen Wunsch und Wirklichkeit bei den dreien in auffälligem Missverhältnis.
    »Ist was?«, blaffte der mit dem Überbiss. »Hast du irgendein Problem?«
    »Ja, ich habe ein Problem. Passt mal auf, wo ihr hinlauft.«
    Die drei wirkten verunsichert. Offenbar hatten sie damit gerechnet, ihn durch Auftreten und Überzahl einzuschüchtern. Nun wechselten sie zögernd Blicke. Der Klassenprimus gewann als Erster seine Fassung zurück. Verächtlich pfiff er durch die Lippen.
    »Hört euch diese Schwuchtel an«, rief er und äffte ihn nach: »Passt mal auf, wo ihr hinlauft.«
    Die anderen lachten, schlugen ihm auf die Schulter, dann drehten sie sich um und gingen breitbeinig weiter.
    »Ihr denkt, ihr seid die Größten, was? Ihr armseligen Muttersöhnchen.«
    Marius war wütend. Er wollte Ärger. Und er bekam ihn. Die Jugendlichen blieben stehen und bauten sich vor ihm auf. Das Lachen war ihnen vergangen. Es war der Junge mit dem hübschen, engelsgleichen Gesicht, der zuerst ausholte. Marius fing den Schlag ab und stieß den Jungen weg. Im gleichen Moment schlug der Streber mit dem Kassengestell zu. Seine Faust traf ihn mitten ins Gesicht. Die Schmerzen explodierten. Es fühlte sich gut an. Jetzt spürte Marius nichts anderes mehr. Er taumelte zurück. Seine Lippe war aufgeplatzt. Er stützte sich mit den Händen auf den Knien ab und spuckte Blut.
    Das war’s also. Er hatte bekommen, was er wollte.
    »Na, du Arschloch? Wie schmeckt dir das?«
    Der Junge mit dem hübschen Gesicht kam erneut auf
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