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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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    hat, ist nicht genug.» Er sprach etwas hastig, sogar atemlos,
    wie ein jüngerer Polizist, der einem Vorgesetzten Bericht
    erstattet. Er überlegte, ob der Ausdruck «für alles offen»
    eine Frau kränken konnte, weil er zu sehr nach Männer-
    klatsch klang, nach Bruderschaftsjargon. Vanessa sagte
    nichts, nickte nur kurz und ließ ihn weiterplappern. «War-
    um haben sie sich uns angeschlossen», fragte er, «wo es
    doch genügend fade, ordentliche Paare in ihrem Alter gibt,
    die neu in der Stadt sind? Wie nennt man sie doch jetzt?
    Yuppies. Weiße Stadtfluchttypen, die in Hartford oder in
    Norwich arbeiten. Nein, die Oglethorpes möchten was er-
    leben – sie zumindest. Könntest du sie nicht ein bisschen
    lieben?»
    «‹Ör t
    s e Wwahl›», sagte Vanessa. «D s
    a war der Witz. Tra-
    cy sagte: ‹Örste Wwahl›.»
    Auf Vanessas Knochen war Fleisch genug; sie hatte brei-
    te Schultern und eine breite Taille, wie ein Mann. Er hatte
    hin und wieder den Wunsch verspürt, ohne ihm nachzuge-
    geben, ihr das Handgelenk umzudrehen, sie zu schlagen,
    weil er wusste, sie würde das hinnehmen. Wie er kam auch
    sie aus armen Verhältnissen, und wie in einem gnadenlosen
    Spiegel zeigte sie ihm die Niedrigkeit seiner Bedürfnisse.
    Er lernte, sich gegen die Macht aufzulehnen, die sie über
    ihn hatte. Es war möglich, wie er feststellte, alle Geschen-
    ke, die ein Körper einem anderen machen konnte, anzu-

    317
    nehmen und doch den Bewohner dieses Körpers nicht zu
    mögen. Er empfand eine unangemessene Zärtlichkeit für
    Vanessa. Ein Jahr lang, und dann noch eins, war er ihr Lieb-
    haber, zweifellos nicht der einzige. Ihre Tage waren lang,
    auch wenn sie ausgefüllt waren mit Aktivitäten.
    Es tat ihm Leid, dass er Trish als «offen für alles» bezeich-
    net hatte. Jedes Mal wenn er sie bei einer Party traf, hatte
    er Angst, er würde sie umstoßen. Seine ungehörige Charak-
    terisierung war wie ein Belag in seinem Mund, der es ihm
    erschwerte, so mit ihr zu sprechen, wie es nötig war, wenn
    er ihr Vertrauen gewinnen wollte – freimütig, amüsiert, ohne
    Folgerungen über das hinaus, wozu sie bereit war. «Und?»,
    sagte er auf einer Her s
    b tparty, die Roscoe und Imogene Bis-
    bee gaben, «wie gefällt dir dein neuer Präsident?»
    «Ganz gut, aber ich bin mir nicht sicher, ob er Nixon
    hätte begnadigen dürfen.»
    «Wir sind alle darauf angewiesen, dass wir begnadigt
    werden, oder?»
    «Meinst du?», fragte Patricia, wobei sie den Blick ab-
    wandte, als ob gerade jenseits des Verandageländers etwas
    passierte, unten in der Dunkelheit, wo Schritte auf dem
    Splitt der Einfahrt knirschten und Gäste zu ihren Autos
    gingen.
    «Du vielleicht nicht», sagte Owen. «Aber im Ernst, wenn
    er i
    hn nicht begnadigt ä
    h tte, wäre unsere ganze Energie
    von der Aufregung um den Prozess aufgefressen worden.»
    «Du hast Recht», sagte sie; ihre Zustimmung kam, fand
    er, zu schnell, als wollte sie ihn loswerden. Er betrachtete
    sie von der Seite. Ihr Profil zeigte ein wie wund geriebenes
    Rosa bis zu den Nasenflügeln und ein hängendes Kinn, über
    dem ihre volle Oberlippe hervorstand, als machte sie eine
    nachdenkliche Miene. Er spürte bei ihr den Riss irgendei-

    318
    nes alten Kummers, es war, als fühlte er einen Sprung am
    Rand einer Teetasse an seiner Zunge. Bildete er sich auch
    eine gewisse Ungeduld ein, ein Übermaß an
    t
    Erwar ung,
    das sich, wie bei Faye, in ihrer Kleidung ausdrückte?

    «Ich sehe dich da ernd
    u
    beim Joggen», sagte er. «Du
    siehst allerliebst aus.»
    «Oh, bitte nicht», rief Trish im selben Moment und
    wand sich am
    n
    Vera dageländer wie im Griff einer V r
    e ärge-
    rung, die sich nicht abschütteln ließ.
    Sie sah in ihm, wie ihre Reaktion ihm verriet, einen
    gefährlichen Mann. «In deinen hohen Sneakers und den
    Trainingshosen», erklärte er hastig. «Ich frage mich immer,
    ob du keine Angst hast, angefahren zu werden.»
    «Ich sehe zu, dass ich immer etwas Weißes anhabe. Und
    die Laufschuhe haben jetzt Streifen, die im Scheinwerfer-
    licht aufleuchten.»
    Und ihre Augen, deren Wimpern so gleichmäßig verteilt
    waren und glitzerten, dass sie auch künstlich sein konn-
    ten, flammten wie Scheinwerfer. Er hatte sie erschreckt,
    bedrängt, er war zu direkt gewesen. «Okay, gut», sagte er
    schnell und machte einen Rückzieher. Er hatte die Er-
    fahrung gemacht, dass eine Frau in ihrem grundlegenden
    Wunsch zu gefallen einem auch nach einem Affront gewo-
    gen blieb. So

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