Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
Vom Netzwerk:
feuchten ovalen Augen verdutzt, aber teilnahmsvoll
    um. Er sah aus wie ein großes Eichhörnchen ohne buschi-
    gen Schwanz, wie er sich kurzsichtig über sein Notizbuch
    beugte und an jedem Körnchen eines Hinweises knabber-
    te. Der Dieb wurde nie gefunden.
    Aufgewachsen in einer inmitten harter Zeiten idyl-
    lisch ruhig gebliebenen Kleinstadt, in einem Staat, der
    sich standfest den schnellen Lösungen von Faschismus
    70
    und Kommunismus verweigerte, sind Owens sozioöko-
    nomische Einstellungen eine bunte Mischung: Er wählt
    die Demokraten, weil seine Eltern und seine Großeltern
    für Roosevelt gestimmt hatten, doch gleichzeitig erwartet
    er von der Regierung so wenig, dass alle sozialen Dienst-
    leistungen und Anzeichen öffentlicher Ordnung ihm eine
    angenehme Überraschung sind. Als Bradley Acheson ihm
    auf dem weiten, sonnenüberfluteten Rasen, wo am Abend
    die Cocktailparty stattfindet, von den neuesten Vorstößen
    vorjammert, das fünfundsechzig Hektar umfassende An-
    wesen des alten Judson zu parzellieren und zu erschließen,
    bleibt sein Mund verschlossen, weil er sich nicht entschei-
    den kann, ob er um der Grünflächen willen, die von altem
    Reichtum erhalten wurden und nur durch Einschreiten
    der Regierung weiterhin erhalten werden können, zustim-
    men oder ob er darauf hinweisen soll, dass die Geschich-
    te des nordamerikanischen Kontinents eine Geschichte
    der Erschließung ist. «Wohnungsbau», sagt er schließlich
    zögernd, «ist ein wichtiger Wirtschaftsindikator, und – ist
    ‹KNIF› zu rufen nicht ein bisschen antidemokratisch, ja,
    sogar ant p
    i atriotisch, unter der Ägide eures tollen Typs,
    Bush zwei?»
    «KNIF?»
    «Kommt Nicht In Frage.»
    Offenbar hat Brad das Akronym noch nicht gehört, und
    sein bellendes Gelächter schleudert ein Bröckchen Curry-
    Ei im Bogen auf das Revers von Owens Blazer. Owen zuckt
    nicht zusammen, sondern wartet höflich, bis das große vier-
    eckige Gesicht des Gastgebers – auch das eine Fläche, die
    zur Erschließung auffordert – sich durch die unerfreuliche
    Komplexität, die sterile Konfliktbeladenheit der Antwort
    seines Gastes hindurchgekaut hat. «Der Bauunterneh-

    71
    mer», klagt Brad, «ist nicht einmal aus Massachusetts – ir-
    gendeine kalifornische Megafirma, die hier ankommt und
    jeden Baum umholzt und jede Menge von diesen schreck-
    lichen McMansions aufstellt, so dicht wie die Bebauungs-
    vorschriften es zulassen. Am Ende sieht es bei uns aus wie
    in Watertown.»
    «Klingt grauenvoll, Brad, aber, was soil’s, es schafft Ar-
    beitsplätze, Arbeitsplätze in einem der wenigen amerikani-
    schen Industriezweige, die sie nicht nach Übersee verlegen
    können. Hör zu: Jede Stadt in diesem Land war einst eine
    Farm oder ein Wald. Wenn ihr konservativen Baumretter
    das Sagen gehabt hättet, wäre nie etwas gebaut worden.
    Cabot City wäre noch ein fischreicher Fluss. Haven-by-
    the-Sea wäre Nothing-by-the-Sea. Ein Haufen Muschel-
    schalen neben ein paar verrottenden Wigwams.»
    Brad presst die Lippen zusammen und sieht so aus, als
    würde er gleich explodieren; er blinzelt über Owens Schul-
    ter, um zu sehen, welche anderen Gäste seiner Aufmerk-
    samkeit bedürfen, an welcher angenehmeren Unterhaltung
    er sich beteiligen könnte. «Es muss eine Ausgewogenheit
    geben», sagt er schließlich.
    «Genau», stimmt Owen zu. Er liebt Brad, als Golfspie-
    ler. Wenn er ihn ansieht, sieht er nicht seine Seele, wie es
    Gott angeblich tut, noch sieht er die Statistik seines Ein-
    kommens und seines Nettowerts, was die Steuerbehörde
    zu durchschauen hofft, vielmehr sieht er einen bestimm-
    ten Swing, eine Art wirbelnder Bewegung, die Finger zu
    dicht am Griffende, einen anmutigen, aber entschiedenen
    Swing, der an guten Tagen schnurgerade Treibschläge
    bringt, manchmal geheimnisvoll weit, und Chips schlägt,
    die wunderbar dicht ans Loch kriechen. Die Männer aus
    Owens Bekanntenkreis in Haskells Crossing und Umge-
    72
    bung sind für ihn eine Sammlung von Golfswings, und
    keine zwei gleich: Der gesetzte Morton Burnham ein
    kraftvoller, aber zu aufrechter Ausfall, begleitet von ei-
    nem unausrottbaren Auf und Ab des Kopfes; der gelen-
    kig-schlaksige Geoffrey Dillingham eine übertriebene
    Schulterdrehung, mit weit über die Parallele hinaus zu-
    rückgeworfenem Schläger; der stämmige Quentin Chute
    ein schnell «abdrückender» Hieb aus der Hand, nur Un-
    terarme und Grimasse; der pedantische Martin Scofile eine
    aufgeregte,

Weitere Kostenlose Bücher