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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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nachdenk-

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    lichen Schmollmund zu vertuschen suchte. Owen tröstete
    sich: Wenn er we i
    n ger intelligent war als sie, hatte Hank
    gar nicht erst mit ihr konkurrieren können.
    Sie gingen nicht mehr zusammen zur «Einführung in
    die Kodierung digitaler Computer und Logik». Als Stu-
    dentin vor dem Abschluss entschwand sie in die exoti-
    schen Gefilde fortgeschrittener Topologie, die gegenläufig
    zur Intuition waren – infinitesimale Methoden der Diffe-
    rentialgeometrie, unveränderliche, in euklidischem Raum
    eingebettete Betti-Gruppen, duale Sätze. Das Thema ih-
    rer Abschlussarbeit klang verdächtig nach projektiver Geo-
    metrie: Sie sagte, es habe zu tun mit «der topologischen
    Klassifizierung von Mannigfaltigkeiten von Dimensionen
    größer als zwei».
    «Wie weit können höhere Dimensionen gehen?», fragte
    er.
    «Bis », ist doch klar.»
    «Ich kann mir das nicht vorstellen.»
    «Du nicht, aber Zahlen können das. Kalkulationen kön-
    nen so viele wie du willst umfassen. Guck nicht so miss-
    billigend, Owen. Entspann dich. Es ist elegant, es macht
    Spaß.»
    «Dir macht es Spaß, das kann ich mir beinahe vorstel-
    len.»
    «Ich bin an einem Punkt angekommen, wo ich mir nicht
    sicher bin, ob Riemann Recht hatte, a
    w s bestimmte lokale
    Krümmungen angeht.»
    «Der unsterbliche Riemann, der mit den Riemann’schen
    Flächen? Den willst du widerlegen? Baby, du bist umwer-
    fend.»
    «Er hätte nichts dagegen. Er war gewissermaßen ein
    Heiliger. Sein Vater war lutherischer Pfarrer. Er selbst ist

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    schon mit neununddreißig gestorben, an Tuberkulose. Er
    hat Notizbücher und Papiere voller Ideen hinterlassen, die
    er nicht mehr veröffentlichen konnte. Das ganze Univer-
    sum, verstehst du, ist eine Ar t Riemann’scher Fläche, aus
    Sicht der allgemeinen Relativität.»
    Der Ausdruck ihrer Augen hatte etwas Abwesendes,
    Stählernes, womit sie die Gedanken an diejenigen bewach-
    te, die sie wahrhaftig und intuitiv liebte. Eine Gruppe, eine
    Menge, von der Owen ausgeschlossen war, auch wenn Bio-
    logie und Gesellschaft sie zusammentrieben. Phyllis würde,
    wenn sie und Owen durch die dornenreiche gewöhnliche
    Welt reisten, immer Erinnerungen an ein Arkadien bewah-
    ren, das von einer exklusiven Truppe erhabener Geister be-
    völkert war, ob Mathematiker oder Dichter, Spenser oder
    Cantor, Hubert oder Keats, denen Cambridge im Innersten
    geweiht war. Solch eine Hingabe barg keine Garantie für
    die schöpferischen Stürme, die zu posthumen Ehren führ-
    ten, verfluchte aber alles zahmere Wetter als zweitrangig
    und machte die wirkliche Welt zu einer ziemlich ernüch-
    ternden, substanzlosen Stätte des Exils.

    Während sie mit Riemann ihre Rendezvous inmitten
    sich krümmender Flächen bis in die »te Dimension hat-
    te, rackerte sich Owen mit den praktischen Gegenstän-
    den ab, die zum Ausbildungsgang der Elektrotechnik ge-
    hörten – Netzanalyse, nichtlinearer Scheinwiderstand als
    Triebmodulatoren, Breitbandverstärker, photoelektrische
    Transducer, Isolatoren, Transistoren, Mikrowellen-Trio-
    den, Bremsfeldklystronen, Energieverhältnisse in einem
    Elektronenstrahl bei Kleinsignal-Erregung, und dazu sol-
    che Formeln, die unsichtbare Elektronen sichtbar mach-
    ten, hörbar und konvertierbar zu nützlicher Arbeit. Ein
    Fortgeschrittenenkurs führte Owen für eine Woche zu

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    Raytheon in Waltham, ein anderer brachte wiederholte
    Besuche im Harvard Computation Laboratory mit sich, wo
    Mark 1 in seiner gebieterischen Masse und seiner über-
    hitzten Rückständigkeit herrschte. Während in Korea die
    Polizeiaktion im kalten, blutigen Schlamm ins Stocken
    geriet, blieben Owen und seine Studienkollegen von der
    Einberufung zum Militär verschont, wenn sie einen Test
    der Regierung bestanden, bei dem nur Kretins durchfallen
    konnten: In dem Vorlesungssaal mit der Nummer 10-250
    präsentierten sie auf ein Signal hin ihte Bleistifte wie klei-
    ne Ersatzgewehre. Gehirne gewannen Kriege, IBM stellte
    Arbeitskräfte ein in einem massiven Vorstoß, dem trium-
    phierenden UNIVAC von Remington Rand etwas entge-
    genzusetzen. In der Wirtschaft wie auch im industriell-mi-
    litärischen Bereich zeichnete sich ein Markt für Computer
    ab. Inmitten dieser Schwindel erregenden Zukunftsver-
    sprechen und während technische Durchbrüche sich
    schneller einstellten, als die Professoren für Elektrotech-
    nik sie lehren konnten, fingen Owens überprogrammier-
    te Neuronen vor Kopfmüdigkeit zu summen an. So

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