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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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war
    es wie eine Botschaft, die aus einem Schleier statischen
    Knisterns zu ihm drang, als Phyllis eine Woche nach ihrem
    Examen (ihre Abschlussarbeit, in der sie eine Nuance der
    Riemann’schen Topologie in Frage stellte, war wegen ihrer
    Originalität und Stringenz besonders erwähnt worden) an
    einem Zweiertisch in dem winzigen verräucherten indi-
    schen Restaurant, unmittelbar bevor er zu einem weiteren
    Sommer der Arbeit mit dem Vermessungstrupp und der
    Erforschung von Elsies Reaktionen gen Süden aufbrach,
    zu ihm sagte: «Meine Eltern haben mich gelöchert, sie
    wollten wissen, was ich jetzt vorhabe, und da habe ich ih-
    nen gesagt, ich sei mit dir verlobt.»

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    «Wirklich?» Sein Gesicht wurde heiß, er war plötzlich
    mitten ins Leben getaucht, sein einziges Leben.
    «Ja, Liebling, sind wir es nicht? Du redest doch andau-
    ernd davon.» Ihre Augen, verschattet von nervöser Heraus-
    forderung, suchten seine.
    Um sie von seiner Hingabe zu überzeugen, hatte er sich
    oft laut ihr gemeinsames Eheleben ausgemalt. Doch er er-
    innerte sich nicht genau, ob er ihr je einen Antrag gemacht
    hatte; er hatte befürchtet, er würde abgewiesen werden
    und seine mühsam erkämpften Fortschritte in ihr verzau-
    bertes Terrain wären vergeblich gewesen.
    «Ja, ich glaube, wir sind es», gab er zu. «Das ist ja aufre-
    gend.»
    Was würde seine Mutter sagen? Was Elsie? Oh, es ge-
    sc a
    h h ihnen recht. Die Natur ist Fluss und Wandlung, hat-
    te das MIT ihn gelehrt.

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    VI Kleinstadt‐Sex 3

    In seinem zweiten Studienjahr war Owen ihren Eltern
    ein paarmal begegnet. Ihr Haus stand in einer schattigen
    Straße in Cambridge, die früher, bevor der Feierabend-
    verkehr sie als Abkürzung zwischen Garden Street und
    Massachusetts Avenue entdeckt hatte, zweifellos ruhiger
    gewesen war. Es war ein typisches Haus, groß auf einem
    kleinen Grundstück, mit einer beängstigenden Menge
    von Büchern überall, in Regalen, die sogar die Treppe hin-
    aufkletterten und noch den Flur im zweiten Obergeschoss
    füllten. Bis vor fünf Jahren waren die Zimmer in diesem
    Stockwerk an Harvard-Studenten vermietet worden, doch
    als Phyllis heranwuchs, war ihren Eltern das Eindringen
    junger Männer ins Haus unbehaglich geworden. Ehe ihr
    jüngerer Bruder Colin nach Andover ging, hatte er eines
    der zuvor vermieteten Zimmer als seine Höhle in Be-
    sitz genommen und die Matratze, den Sekretär und den
    Schreibtisch aus hellet Eiche, die schon vorhanden waren,
    um eigene Sachen ergänzt: sein kleines weißes Plastikra-
    dio, einen 45er Plattenspieler, ein paar selbst zusammen-
    geklebte Modelle einer veralteten Kriegsmaschinerie, ein
    paar verstreut herumliegende, muffig riechende Sweat-
    shirts und Basketballschuhe und, in ein paar Bücherrega-
    len aus unbearbeitetem Kiefernholz, ein Sammelsurium
    von Batman- und Plastic-Man-Comics, Sciencefiction-
    Zeitschriften, Taschenbüchern mit Baseball-Statistiken,

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    Shady-Hill-Schulbüchern und ein fünfzehnbändiges Kin-
    derlexikon, dessen Einbandrücken den Regenbogen von
    Violett bis Rot durchliefen, die aber irritierend bunt durch-
    einander standen. Owens Mutter hatte ein paar Bücher be-
    sessen und andere in der Öffentlichen Bücherei in Alton
    ausgeliehen, wohin sie von Willow mit der Straßenbahn
    gefahren war; in diesem Haus waren Bücher ein wuchern-
    des Gewächs, ein Pilzgeflecht von Lesestoff, das krustig
    jede Oberfläche überzog.
    Phyllis war größer als ihre Eltern. Ihr Anblick, wie sie
    errötend beide überragte und dabei den Kopf schief hielt,
    als wäre sie am liebsten geschrumpft, wirkte auf Owen
    erotisch. Sie war schlank, hatte aber volle Brüste, und im
    Nacken und an ihren feuchten Stellen wuchs ihr üppiges
    schmutzig blondes Haar – ein hormonell großzügig ausge-
    statteter Körper, der diesen beiden zierlichen, trockenen
    Menschen entsprungen war. Ihre Körper waren, so schien
    es, das Letzte, woran die Eltern Goodhues dachten. Sie
    kleideten sich, fast austauschbar, in Schichten mausgrau-
    er Wolle. Mrs. Goodhue, die mit Vornamen Carolyn hieß,
    trug gerade Röcke aus genopptem Stoff, flache braune
    Schuhe und nicht zugeknöpfte Strickjacken, von denen
    die eine Seite immer auffällig tiefer hing als die andere.
    Die verwaschenen Farben und ihr abwesender Ausdruck
    verbanden sie mit ihrer Tochter, aber bei ihr kam eine
    Ungeduld dazu, die Angewohnheit, Äußerungen anderer,
    die für ihr Gefühl zu langsam kamen oder zu offenkundig
    waren, zu

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