Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
Vom Netzwerk:
Wurzeln der Arithme-
    tik entdeckte Leere auch in ihr existierte – die Weigerung,
    eindeutig zu sein, ein unerbittliches Leugnen unter der
    scheuen, willfährigen Oberfläche. «Du weißt, dass ich dich
    noch nicht liebe», sagte sie, nachdem sie ein Jahr mitein-
    ander gegangen waren und von ihren Freunden längst als
    Paar betrachtet wurden.
    Owen war schockiert, insbesondere, da sie ausgestreckt
    beieinander lagen, irgendwo, auf einem Bett, einem Fuß-
    boden – es musste in Phyllis’ letztem Studienjahr gewesen
    sein, als sie wieder zu ihren Eltern gezogen war, wo sie mit-
    einander allein und ungestört sein konnten. Zwar streiften
    sie nicht ihre heißen Kleider ab, aber sie «machten es»,
    in jenen gehemmten, verhüllten Zeiten. Owen hatte an-
    genommen, dass er liebenswert sei, wenn auch nicht der

    127
    Beachtung der Ginger Bittings dieser Welt würdig. Seine
    Mutter und Elsie hatten ihn geliebt.
    Er verriet keine Reaktion, drückte Phyllis nur enger an
    sich und sagte: «Wirklich nicht? Ich liebe dich aber. Viel-
    leicht liebst du mich, und du weißt es nur noch nicht.»
    Gleichzeitig spürte er, wie sein Körper wegdriftete, weg-
    gespült wurde von dem Gedanken, dass er vielleicht den
    Fluss seines Lebens doch nicht durch diesen anderen,
    fremden Körper leiten sollte.
    «Vielleicht», sagte Phyllis unbestimmt, und ihre Stimme
    war belegt von Bedauern darüber, dass sie zu viel preis-
    gegeben hatte. Ihr Gesicht war wenige Zentimeter von
    seinem entfernt, in den Schatten des Zimmers, das, wie
    es ihm in der Erinnerung an diesen Moment erschien, in
    einem oberen Stockwerk gewesen war, vielleicht das Zim-
    mer ihres Bruders im Haus ihrer Eltern. Er hatte sie ge-
    küsst, diese lippenstiftlosen, tauben Lippen, als wollte er
    Blut in sie hineinpressen, während einzelne Strähnen ihres
    unordentlichen Haars sein Gesicht kitzelten, mit der irri-
    tierenden, insistierenden Leichtigkeit von Fliegenbeinen
    an einem schwülen ‘lag. Manchmal schien es so, als wäre
    sie diejenige, die gekitzelt wurde, denn mehr als einmal,
    wenn ein jäher Ausbruch von Liebe ihn dazu trieb, sie mit
    einem Schauer von Küssen zu überschütten, ihre Lippen
    und ihre hohen, errötenden Wangenknochen und ihre
    farblosen Augenbrauen und ihre Lider mit dem unruhig
    zuckenden Puls – diese ganze wunderbare Präzision einer
    Silberstiftzeichnung-, dann lachte sie laut auf, was verwir-
    rend, ernüchternd war. Er deutete diese Momente als Zu-
    rückweisung seiner ungeschickten voreiligen Vorstöße ge-
    gen die feinen Barrieren, die sie in einundzwanzig Jahren,
    in denen sie so zart, so allein gewesen war, errichtet hatte.

    128
    Er versuchte sich vorzustellen, welche Regung in ihr, wel-
    che winzige klimatische Veränderung sie davon überzeugen
    würde, dass sie ihn liebte. In Augenblicken ihrer jungen
    Liebe, die ihm wie Erhellungen ihres verborgenen inne-
    ren Lebens erschienen, war ihr entschlüpft, dass sie und
    ein anderes Mädchen an der Buckingham School manch-
    mal Hand in Hand gegangen waren und dass der unsäg-
    liche Freund, den ihre Eltern beide übereinstimmend als
    ungeeignet betrachtet hatten, «enorm» gewesen sei – und
    in Erinnerung an das Ausmaß flogen ihre Hände auseinan-
    der. Er war ein typischer Sommercamp-Mensch gewesen
    und hatte für sie vielleicht die mythische Statur der Berge
    angenommen, der hohen rau gerindeten Kiefern, der fer-
    nen Granitbrocken, der Gewitterwolken an einem stillen
    Sommertag mit ihrem weißen Gleißen über den dunklen
    immergrünen Bergkämmen. Hank – sein Name, den sie
    sich entschlüpfen ließ – war in dem Sommerlager Leiter
    des Reparaturdienstes gewesen, Kapitän des zerbeulten
    Pick-up-Wagens, Meister des Müllplatzes und der mit Kie-
    fernnadeln bedeckten Fahrwege, und obwohl er ein paar
    Semester an der University of New Hampshire studiert
    hatte, bekundete er keine Ambitionen außer der, immer in
    der Natur zu arbeiten, zu hacken und zu holzen und Mü-
    cken und Bremsen mit DDT zu besprühen. Sein Mangel
    an Ehrgeiz war auch der Grund dafür, dass er keinen An-
    spruch auf sie erhob, obwohl sie sich mehrere Sommer lang
    gekannt hatten. Vielleicht hatte eher sie ihn umworben,
    hatte sich scheu an ihn herangemacht, so wie Owen für
    Buddy Rourke das Monopoly-Spielbrett vorbereitet hatte.
    Wenn Phyllis an Hank dachte, verlor ihr Gesicht seinen
    abwesenden Ausdruck, seine Trägheit, und stählte sich ir-
    gendwie, obwohl sie ihre Gefühle hinter einem

Weitere Kostenlose Bücher