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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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unterbrechen, die von der sanft sprechenden
    Phyllis nicht geteilt wurde. «Dieses Haus –», sagte Owen,
    als er sich bei seinem ersten Besuch umsah, staunend über
    den Reichtum an lackierten Holzarbeiten, Knäufen und
    Schmuckleisten, über die stattlichen Doppeltüren, das

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    walnussbraune Treppenhaus, das sich kraftvoll zum Absatz
    emporschwang, wo hohe Bleiglasfenster farbige Schatten
    warfen.
    «– enthält zu viele Bücher, ich weiß. Das sage ich Eus-
    tace auch dauernd, aber er sagt, sie seien seine Werkzeuge
    und er wisse nie, welches er als nächstes brauche. Ein Buch
    kann unberührt zwanzig Jahre warten, und plötzlich, mit-
    ten in der Arbeit an einem langweiligen wissenschaftlichen
    Aufsatz, braucht er es ganz dringend. Es ist schrecklich –
    denken Sie an die Staubmilben. Ich versuche, die Putz-
    frauen dazu zu bekommen, dass sie einmal im Jahr alles
    abstauben, und statt dessen kündigen sie.»
    «Sie fürchten sich, Mutter», sagte ihre Tochter leise da-
    zwischen n
    u d warfeinen entschuldigenden Blick in Owens
    Richtung.
    Doch sie brauchte sich nicht zu entschuldigen. Alle El-
    tern sind ihren Kindern peinlich. Seine eigenen Eltern wa-
    ren Owen unglaublich traurig vorgekommen, wie sie allen
    in der Mifflin Avenue eine zänkische Show ihrer Unzufrie-
    denheit und ihres gestörten Verhaltens boten. Im Vergleich
    dazu waren Phyllis’ Eltern, wie es schien, mustergültige
    Einwohner von Cambridge, so zuverlässig im Einhalten ih-
    rer Spielregeln wie die kleinen, miteinander verbundenen
    Eiguren, die zur vollen Stunde aus einer Schweizer Uhr
    hervorgewackelt kamen. Owen mochte die flinke kleine
    Dame des Hauses mit ihrem gestutzten grauen Haar und
    den oberen Augenlidern, die auf ihre Wimpern klappten.
    Er hatte mit kleinen Frauen – Grammy, Elsie – im Allge-
    meinen gute Erfahrungen gemacht.
    «Phyl hat uns erzählt, Sie seien ziemlich brillant da rü-
    d
    ben, an der
    c
    anderen Ho hschule.»
    «Oh, nein, ich bin nichts weiter als ein Student der
    13
    6
    Elektrotechnik, e
    d r sich weidlich abrackert. Ihre Tochter
    dagegen –»
    «– ist klüger als die Professoren», beendete Carolyn
    Goodhue den Satz für ihn. «Wir finden das so seltsam, Eus-
    tace und ich – Mathematik, jahrelang dachten wir, das sei
    nur so eine Phase, die sie durchlaufe, in einem schwierigen
    Alter. Mädchen haben das ja, und im Gegensatz zu Jungen
    kommen sie auf abwegige Ideen, wie sie rebellieren kön-
    nen, und das immer mit diesem süßen Lächeln, dass man
    ihnen nichts vorwerfen kann. Aber im Ernst, Liebes» – sag-
    te sie zu ihrer Tochter –, «dein Vater und ich sind unheim-
    lich stolz. Wir prahlen. Wir lassen uns nichts anmerken,
    wenn unsere Freunde uns aufziehen und fragen, warum
    ein Mädchen, das am Radcliffe College oder am Wellesley
    mit offenen Armen aufgenommen worden wäre, oder am
    Bryn Mawr, falls sie nicht mit Jungen zusammen studieren
    wollte, warum so ein Mädchen flussabwärts gehen will, an
    ein College, das so –»
    «Schmuddelig ist», beendete Owen für sie den Satz.
    «Mutter», intervenierte Phyllis, «wir sind schmuddelig,
    weil wir die ganze Nacht aufbleiben und Sachen auswen-
    dig lernen, und die meisten Jungen machen was mit ihren
    Händen.»
    «Hoffentlich nicht zu viel», schnappte Mrs. Goodhue
    und klappte rasch die Augen auf und zu, als Owen lachte:
    Er hatte von Phyllis nie einen unanständigen Witz gehört,
    irgendwie kamen sie ihr nicht in den Sinn.
    Ihre scheue gebeugte Haltung hatte Phyllis von Profes-
    sor Goodhue geerbt. Bei ihm war diese Haltung allerdings
    nicht der Versuch, übermäßige Schönheit zu verbergen,
    sondern das organische Produkt eines am Schreibtisch oder
    zusammengerollt lesend im Sessel verbrachten Lebens.

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    Mit dem Kinn auf der Brust wirkte er so, als hätte er keinen
    Hals, und in der Mitte war er geschwollen wie ein altmo-
    discher Tonkrug, während der Kopf nach vorn geneigt war,
    als wollte er gleich eine Vorlesung von sich geben. Seine
    Stimme war dünn und matt und produzierte ihr Geräusch
    beim Einatmen, mit der gleichen Lungenbewegung, als
    saugte er an einer Pfeife. In Owens begrenzter Sicht war er
    jemand, der mehr in sich aufnahm, als er von sich gab, auch
    wenn ein gelegentliches leises Lachen, wie das Krachen von
    trockenem Leim in einer alten Bindung, als zustimmendes
    Zeichen gedeutet werden konnte. Er reagierte mit Erstau-
    nen auf Owens Erscheinen in seinem Haus und an seinem
    Tisch, und er betonte dieses Erstaunen,

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