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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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gehabt
    hatten. Aber jetzt war er dichter bei ihnen, als wäre er von
    der Mifflin Avenue in die Second Street umgezogen. Sei-
    ne Frau, die eine Vorliebe fürs Sonnenbaden hatte, und ihr
    Trio kleiner Kinder – das jüngste hieß Floyd, nach seinem
    Großvater väterlicherseits –, gesellte sich zu ihnen. Sie be-
    richtete ihm: «Sie sind wie die Army-Ehefrauen, nur nicht
    so derb und geistlos. Sie sind nett, vielleicht ein bisschen
    oberflächlich. Anscheinend denken sie dauernd an andere
    Leute – an ihre Kinder und ihre Männer. Und aneinander.

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    Wenn eine von uns nicht aufkreuzt, kriegt sie es ab. Aber
    auf denkbar nette Art.»
    In Middle Falls wurden alle Persönlichkeiten studiert,
    umschwärmt und verherrlicht. Die Frauen herrschten – sie
    liehen ihren Männern Faszination. Ehemänner und Ehe-
    frauen waren biforme Kreaturen, halb transparent, sodass
    einer jeweils durch den anderen gesehen werden konnte,
    wenn auch unvollkommen. Diese Absonderlichkeit war
    Teil ihrer Anziehungskraft und der allgemeinen Komödie
    in der Folge von Partys, Treffen, Spielen, Picknicks, im-
    provisierten
    Lunches,
    Imbissen,
    Gourmet-Abendessen,
    Laientheater-Aufführungen, Chorproben, vogelkundlichen
    Spaziergängen, Kanufahrten, Ski-Ausflügen und trägen,
    leicht alkoholisierten Zusammenkünften an Sonntagnach-
    mittagen, die dafür entschädigten, dass die Stadt von den
    Vergnügungen der Großstadt abgeschnitten war. Die Kin-
    der waren der vorgebliche Grund für vieles – das Skifahren,
    das Schlittschuhlaufen, das Drachensteigenlassen im April,
    das Muschelessen im August – und zugleich war vieles da-
    von eine Möglichkeit, den Kindern zu entfliehen, selbst
    wenn sie dabei waren und einem drängelnd und quengelnd
    zwischen den Füßen hockten oder mit müden Augen am
    Rande des Rasens saßen, während ihre Eltern, vielleicht
    bei einem Volleyballspiel, in der Hitze herumsprangen und
    dem Ball nachjagten. Die Frauen spielten zusammen mit
    den Männern, und ihre leicht blaue Flecke davontragen-
    den Körper wurden angerempelt und gestoßen, doch sie
    spielten weiter – barfuß und leicht bekleidet – und nah-
    men ihren Platz ein wie bei einem ländlichen Reigen. Sol-
    che Riten waren Owen fremd, und sie bezauberten ihn.
    Er war recht eigentlich, das begriff er in Middle Falls,
    ein erstaunlich unwissender und unvollständiger Mensch.

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    Seine Sozialisierung war kaum über den Spielplatz in Wil-
    low hinausgekommen. MIT und IBM waren soldatische
    Bruderschaften gewesen, wo jeder mit seinem eigenen
    Überleben beschäftigt war, mit seinem Blatt Papier oder
    seinem Computer-Monitor, seiner Logarithmentafel oder
    seinem Rechenschieber. New York hatte ihn weiter ein-
    geengt, ihn dichter an eine Frau gedrängt, die zwar in der
    sozialen Pflicht stand, ihn zu lieben, aber nicht, ihn so zu
    sehen, wie seine Mutter ihn gesehen hatte, irgendwie hef-
    tig, wie einen Schatz von unendlichem Wert – sie selbst
    hineinprojiziert in Männlichkeit und weiter gespannte
    Möglichkeiten. Auch Grammy mit ihren trüben Augen
    und ihrer schiefen Silberrandbrille hatte ihn gesehen und
    über alle Maßen geliebt. Einmal, als er in seinen kurzen
    Hosen durch den Garten gerannt kam, hatte er gespürt,
    dass sein Darm sich regte und er nicht in der Lage war,
    es zurückzuhalten, und er rannte weinend zum Haus, und
    Grammy hatte ihm mit wortlosem Schnalzen den gelben
    Durchfall von den Beinen gewischt. In seinen Träumen ge-
    schah es wiederholt, dass sein Gedärm überfloss und seine
    Exkremente sich über den Boden ergossen, seinen ganzen
    Körper verdreckten und den Raum mit Gestank erfüllten,
    wo andere, nur Zentimeter entfernt, bei einer Dinnerparty
    zusammensaßen. Trotz seiner guten Noten und Prüfungs-
    ergebnisse hatte er von grundlegenden Vorgängen so wenig
    Ahnung, dass er in seinem ersten Jahr am MIT wochenlang
    den Bezug seines Kopfkissens nicht wechselte und sich wie
    ein Dummkopf darüber wunderte, dass er nach und nach
    grau wurde. Grammy und seine Mutter hatten seine Wä-
    sche gemacht; er hatte nie darüber nachgedacht, wie seine
    Socken wieder in seine Kommode gelangten, sauber und
    zusammengerollt, nachdem er sie irgendwo auf den Fußbo-

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    den hatte fallen lassen. Es war ihm nie in den Sinn gekom-
    men, kochen zu lernen. Er überließ das alles Phyllis, die
    mit Floyd, dem Baby, auf der Hüfte und den beiden zan-
    kenden Kleinkindern vor ihren Knien in der Küche stand.
    Seine Familie hatte kein Geld

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