Landleben
an denen seit Ian-
gem die Schlösser fehlten, und befand sich oben an einer
Treppe aus Stahl und Beton; die Treppe führte zu einer
Tür hinunter, die sich auf einen nicht benutzten Gehweg
öffnete, der wiederum zu der dauerhaft gesperrten Fuß-
gängerbrücke über den Fluss führte. In den Zeiten der al-
ten Waffenfabrik überquerten Arbeiter aus dem Gebiet der
Reihenhäuser hier zu Fuß den Fluss. Die metallverstärkte
Tür, rot gestrichen, damit sie zu den Backsteinmauern pass-
tc, wurde nie benutzt, blieb aber am Tage unverschlossen,
als Notausgang im Falle eines Brandes. Owen benutzte die
Tür, ohne dass ihn jemand sah. Die Tür, die Treppe, der
private Raum, all dies erschien vor seinem geistigen Auge
als leuchtendes Vektordiagramm, wobei sich die ganze Pro-
jektion drehte, als würde er sich gerade durch sie hindurch-
bewegen, und die geometrischen Formen veränderten sich
je nachdem, wie die zugrunde liegende Mathematik es be-
stimmte.
«Ich heirate», verkündete Ed.
Ein Klumpen zerkauter Kichererbsen stieß auf ein Hin-
dernis in Owens Hals. Er spülte ihn mit einem Schluck
Wasser hinunter und brachte hervor: «Das ist großartig.
Höchste Zeit. Wen denn? Kenne ich sie?»
«Ich hoffe nicht, du Lüstling», sagte Ed und kränkte
zum zweiten Mal Owens strengen Sinn für sexuellen An-
stand. «Sie ist acht Jahre jünger als ich, neun Jahre jünger
als du – noch ein Kind, O. Ein unschuldiges Kind. Hab
Erbarmen.»
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Owen spürte einen Stich. Phyllis war ein Jahr älter als er.
Vielleicht war das ihrer beider Problem, schlichte Biologie:
Der Mann sollte überlegen sein. Das war er nie gewesen.
Ed hatte auf schöne Art Geduld bewiesen, er hatte gewar-
tet, bis er eine so viel jüngere Frau heiraten konnte. «Wir
haben uns bei einer Konferenz kennen gelernt», erklärte er
ihm, «damals in Seattle, du weißt doch, zu der ich letztes
Jahr gefahren bin. Über integrierte
r
Schaltk eise. Stacey ist
Vertreterin für Texas Instruments.»
«Integrierte Schaltkreise», sagte Owen, um zu zeigen,
dass er folgte. Er hatte Ed nie für heiratsfähig gehalten, was
albern war. Fast jeder war es, so wie die Natur es eingerich-
tet hatte, mit ihrer üblichen beträchtlichen Bandbreite für
Irrtümer.
«Ja, und was man mit diesen winzigen Schaltkreisen an-
fangen kann. Letztes Jahr hat TI ein Hörgerät herausge-
bracht. Im nächsten Jahr bringen sie einen Tischrechner
auf den Markt, der weniger wiegt als ein Huhn. Das erzählt
sie mir, als wüsste jeder, wie viel ein Huhn wiegt.»
«1st sie aus Texas?» Warum fühle ich mich so betrogen?, frag-
te sich Owen. Was kümmert es mich, wenn Ed heiratet?
Er hatte sich darauf verlassen, dass Ed dem Unterneh-
men treu bleiben würde, damit seine eigene Aufmerk-
samkeit sich anderen Dingen, höheren oder niedrigeren,
zuwenden konnte. Er musste mehr über das Leben heraus-
finden. «Aber man merkt es nicht», antwortete Ed. «Ihre
Familie kommt eigentlich von der Westküste, ihr Vater
hat für Grumman gearbeitet. Sie sagt ‹Mein Daddy›. Sie
sind nach Dallas gezogen, als Stacey neun war. Sie hat den
Akzent angenommen, a
ber noch wichtiger ist, dass sie die
Haltung angenommen hat.»
«Die texanische Haltung.»
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«Ja – es ist großartig. Sie findet, der amerikanische
Traum spiele noch eine Rolle. Ich habe sie so satt, diese
superschlauen sauertöpfischen Ostküsten-Leute, die den-
ken, alles, was gut war, hat vor 1750 stattgefunden, und die
dauernd mit billigen Ang i
r ffen über Amerika und LBJ her-
fallen.»
«Der auch aus Texas ist.»
«Genau richtig. Johnson hat in zwei Jahren mehr für
die Schwarzen getan als der heilige Franklin Roosevelt in
zwölf, und trotzdem machen diese hirnrissigen Liberalen
ihn nieder und nennen ihn einen Redneck.»
Es kam Owen in den Sinn, dass Ed sich selbst auch
als Redneck betrachtete, Redneck im Stil der Bronx, Ein
Mädchen aus Texas würde in ihm den gut angezogenen
Erbauer eines elektronischen Imperiums sehen, der er ja
auch war. «Wann lernen wir andern sie kennen?», fragte
Owen.
«Bald, O. Ich hätte gern, dass du mein Trauzeuge bist.»
Owen wurde rot. «Mit Vergnügen, Ed. Ich fühle mich
gebauchpinselt, wie man früher sagte.» Es roch ihm ein
bisschen danach, als würde er wieder in die gute Gesell-
schaft aufgenommen, nach der Episode mit Faye. Er war
sich nicht sicher, ob er wieder zugelassen werden wollte.
«Wann soll es denn stattfinden, das
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