Landleben
nahe Wär-
me Teil davon war, Schmuddelkram, Nähe, während ihr
rhythmisch gehender leichter Atem – leicht, wie ihre Spra-
che leicht war, in dem Wunsch, sich der Welt nicht krass
aufzudrängen – durch kein Zeichen verriet, ob sie seinen
pochenden Höhepunkt wahrnahm. Aber sie war da, wie die
endliche Summe einer von Eulers unendlichen Serien.
«Warum schlafen wir eigentlich nicht mehr zusammen?»,
fragte sie eines Tages.
«Wir schlafen nicht mehr zusammen? Ich habe das Ge-
fühl, wir tun es.»
«Seit Wochen nicht. Ist mein Atem schlecht, oder was?»
«Nein, gar nicht. Ich habe in deinem Atem nie etwas
anderes als Pfefferminz oder Kamillentee gerochen.»
«Also dann, warum machen wir es nicht? Die Kinder
sind von acht bis halb vier aus dem Haus. Warum kommst
du nicht mal mittags her, zum Essen? Von morgens will ich
gar nicht reden, weil ich weiß, wie schwer es dir fällt auf-
zuwachen.»
«Meinst du heute?» Er überlegte angestrengt, ob etwas
mit Vanessa verabredet war; wann Karen wieder vorbei-
schneite, war nicht vorherzusagen. «Was ist denn über dich
gekommen?», fragte er, um Zeit zu gewinnen.
Phyllis war nicht gekränkt, aber sie errötete – dieses Auf-
schießen von Blut unter ihren schrägen Wangenknochen
war für ihn mit der studentischen Prinzessin verbunden,
die sich anbot, um davongetragen zu werden. «Nichts»,
sagte sie. «Nur Zuneigung. Du siehst in letzter Zeit so
hübsch aus.»
Er sah eine willkommene Gelegenheit zu argumentie-
ren. «Ach, jetzt, und früher nicht?»
«Früher auch, doch. Ich will nicht wie Ian reden, aber du
hattest manchmal etwas von einem Nerd, als täte es deinen
Augen weh, wenn du vom Computer weggucktest – als wä-
ren wir alle irgendwie unwirklich für dich. Das hast du jetzt
nicht mehr so sehr.»
«Also, danke. Oder was?»
Jetzt war sie doch gekränkt. «Vergiss, dass ich was gesagt
habe», sagte sie. «Ich wollte nur eine gute Ehefrau sein.
Ich bin auch ein Mensch, verstehst du?»
«Baby!» Er ging zu ihr, plötzlich getroffen; ein Bild,
zweidimensional in seinem Kopf, hatte plötzlich eine drit-
te Dimension bekommen; er hatte vergessen, dass sie ein
Mensch war, er bewunderte sie auf so abstrakte Weise, als
Bild aus seiner Vergangenheit, als eine verblasste Route
zu seinen gegenwärtigen Umständen. Er umarmte sie; ihr
Gesicht, fast in gleicher Höhe wie seines, fühlte sich heiß
an; beider Gesichter schienen den Tränen nahe. «Du bist
über menschlich», sagte er zu ihr, in der Hoffnung, sie brä-
chen beide in Gelächter aus. Als das nicht geschah, sagte
er: «Lass uns eine Verabredung treffen. Ich glaube, heute ist es schwierig; ich muss im Büro auf meinen Terminka-
lender gucken.»
«Du hast keine Lust», sagte Phyllis und hatte, wie im-
mer, Recht. «Ich bin nicht übermenschlich, ich bin in jeder
Hinsicht eine Niete, außer dass ich vier gesunde Kinder
zur Welt gebracht habe. Aber auch bei ihnen hab ich nicht
viel bewirkt. Wir lassen sie wie Unkraut schießen.»
Darin lag ein Körnchen Wahrheit, doch dagegen hätte
er die unzähligen gewohnheitsmäßigen elterlichen Ges-
ten setzen können: die Hilfe bei den Hausaufgaben, das
abendliche Gutenachtsagen, das auswendig hergesagte
Gebet, damit ihre ängstlichen kleinen Seelen die Nacht
bis zum Morgen überstanden, die Familienausflüge nach
Nantucket, nach Disney World und zur Expo 67 in Mon-
treal, die Sommerhäuser in Maine, die zahllosen bezahlten
Unterrichtsstunden, die zahllosen Abendmahlzeiten, die
sie in mehr oder weniger ausgelassener Fröhlichkeit ein-
nahmen. Von außen gesehen, durch die Fenster des war-
men und teuren Hauses in der Partridgeberry Road, nach
den Schaukeln und den Eishockey-Schlittschuhen und
den Puppenhäusern und den Golfschlägern zu urteilen,
die sich im Keller fanden, waren Owen und Phyllis ihrer
Rolle als Eltern gerecht geworden, doch sie hatten nicht,
wie manche Eltern – vielleicht auch wie Owens eigene El-
tern – durch ihre Kinder gelebt, sie hatten nicht den Sprung
aus dem Ego heraus in die DNS-Kette gemacht. Ian und
Alissa zum Beispiel hatten sich nach einem steinigen Ab-
schnitt ganz auf die Wünsche und Bedürfnisse von Nina
und ihren beiden älteren Kindern gestürzt. Owen und
Phyllis waren sich ähnlich darin, dass ihr Lieblingskind das
Kind in ihnen war, das immer noch nach Aufmerksamkeit
verlangte. «Morgen», versprach er ihr. «Mir ist gerade ein-gefallen, dass heute der Tag ist, an dem ich mich mit Ed
zum
Weitere Kostenlose Bücher