Landleben
viel Schnee! Dwight sagt,
wir sollten nach Nord- oder Süd-Carolina ziehen. Beson-
ders jetzt, nachdem der Leinenzwang für Hunde so viel
strenger geworden ist.» Ihre streunenden Golden Retrie-
ver hatten, wie jeder wusste, Katzen der Nachbarn getötet
und in einiger Entfernung einen Reitstall überfallen und
sich an dem Pferdefutter in der Krippe gütlich getan.
Trish hatte eine neue, zerzauste Frisur; von den zedern-
holzfarbenen Strähnen flogen Funken im Sonnenlicht. Ihr
getupftes Kleid war von altmodisch gewagter Kürze; ihre
dünnen Beine mündeten in Schnallenpumps aus weißem
Lackleder mit breiter Kappe. Sie sah aus, als wäre sie einem
Comic entsprungen, und Owen hatte immer eine Schwä-
che für Comics gehabt. «Was führt dich her?», fragte er.
«Wusstest du das nicht? Vanessa hat mich überredet, für
jemanden in ihrem Spendenkomitee, der ausgestiegen ist,
einzuspringen. Sie ist eine Sklaventreiberin, ich kann dir
sagen.»
«Das höre ich öfter.»
«Aber außerdem ist sie eine richtige Mutterglucke. Wirk-
lich erstaunlich, wie sie all das schafft, was sie schafft.»
«Ja», sagte er zustimmend und überlegte, was sie wohl
gemeint hatte. In Erinnerung an das Gespräch bei den Bis-
bees im vergangenen Herbst, das Trish, wie es schien, mit einer Begeisterung aufgriff, die sie damals nicht bekundet
hatte, sagte Owen zu ihr: «Damals sprachen wir von Frau-
en, die als Gefängniswärterinnen arbeiten, jetzt haben wir
eine Frau als Vorsitzende einer Partei.»
«Ja», sagte Trish. «Zu schade, dass sie eine Konservative
ist.»
«Dann bist du jetzt gegen die Konservativen?»
«Nur, wenn es die langweiligen Töchter eines Kauf-
manns sind», sagte Trish und drehte ihr Gesicht so, dass er
ihr Profil sah, das Kinn hängend und sexy. Ihre Oberlippe
sah fast ein bisschen wie ein Greifschwanz aus. Wenigstens
war ihre Art zu reden lockerer geworden.
«Bei langweiligen Konservativen fällt mir ein: der arme
Ford. Vietnam ist so gut wie vorbei», sagte Owen. Er wuss-
te nicht recht, wie er diese neue, subtil radikalisierte Trish
stimulieren konnte.
Sie überging sein Angebot. «Owen», sagte sie und stach
ihm mit dem Zeigefinger heftig in die Brust. «Du musst
unbedingt den Film Shampoo sehen, mit Warren Beatty.
Dwight und ich waren begeistert. Er ist unglaublich! »
Das ähnelte mehr der alten, steifen, stockenden und
stolpernden Trish. Und doch gingen von ihr der natürliche
Duft, die unbekümmerte Lebhaftigkeit, das Gefühl einer
geschickt wiederhergestellten Verbindung aus – wie von
einer Frau, mit der man geschlafen hat. Hatte er im Traum
mit ihr geschlafen? Waren seine Phantasien von einem
nackten Dreier irgendwie, durch das Aderngeflecht der
Stadt, zu ihr gelangt? Sie sprudelte in ihrem Püppchenauf-
zug schier über vor Begeisterung über sich selbst und war
nahe dran, mit blitzenden Augen, ihn zu necken, wie die
Mädchen auf dem Weg zur Grundschule. Er musste einen
Rückzieher machen und überlegen, wie er diesen neuen Faktor in die sein Leben kompliziert machenden sexuel-
len Gleichungen einbeziehen wollte. Hatte Vanessa, als sie
das Scheitern seiner schwachen Annäherungsversuche be-
merkte, dieses ausgelassene Füllen verführt, und warteten
jetzt beide in glühender Nacktheit, doch züchtig aufrecht,
wie die Schwestern Poitier in Clouets Doppelporträt, dass
er sie aufspürte? In Kleinstädten gab es verschwiegene
Ecken, Vorratskeller, Dachböden, wo Matratzen mit ge-
streiftem Überzug still darauf warten, dass die Orgie be-
gann.
Der Lärm der wohltätigen Menge wurde lauter, je mehr
billigen Sekt sie genoss, unter dem drei Meter hohen phal-
lischen Bild, das seit Monaten an der Fassade des Kran-
kenhauses zu sehen war und ein Thermometer darstellte,
auf dem das Rot der zugesagten Spenden zu guter Letzt
ganz oben angekommen war. Owen erblickte das traurige
Gesicht von Imogene Bisbee mit ihrer Emily-Dickinson-
Frisur; sehnsüchtig suchte sie die Menge nach jemandem
ab, der ihrem Leben mit Romantik neuen Schwung gab.
Sie würde warten müssen, sagte er sich, in seinem Leben
war kein Platz mehr, denn offensichtlich hatte er Trish im-
mer noch an der Angel. Er ließ seinen Blick über all die
fahlgelben, vom Bad in der kühlen Frühlingssonne erreg-
ten Spendergesichter gleiten und hoffte, dass er Karen
Jazinski nicht entdecken würde. Ed, ein gewichtiger Spon-
sor von Geld der Firma, hätte sie als E-O-Mitarbeiterin
mitbringen können, und wenn empfindliche spionierende
Augen Owen
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