Landleben
Er ist klein und begriffsstutzig. Er boxt,
um sich fit zu halten. In einem Brief schreibt er, er will mir
das Gesicht demolieren.»
«O mein Gott! Dein herrliches Gesicht?» Ihre Haut kam
ihm dünner vor als die anderer Leute. Sie bekam innerhalb
von Minuten Sonnenbrand, und wenn sie errötete, blieb
die Röte eine Stunde lang auf ihren Wangen. Seine leiseste
Berührung erreichte, so spürte er, unverzüglich alle Ner-
venzentren in ihrem Körper.
Sie errötete, sogar ihre gesenkten Augenlider erröteten.
«Herrlich – das hat er auch gesagt. Er hat geschrieben, er
werde Spuren auf mir hinterlassen, die mich immer an ihn
erinnerten.»
«Oje. In welchem Fachbereich war er? Wie war er in Pro-
jektiver Geometrie?»
Wenn Owen sich an dieses Gespräch zu erinnern ver-
suchte, hatte er Mühe, den Ort zu sehen, an dem es statt-
fand. Die Verwaltung des MIT bemühte sich, private Zu-
sammenkünfte heterosexueller Paare zu unterbinden. Das
MIT wusste nicht, wo es seine weiblichen Studenten un-
terbringen sollte; manche wohnten in einem Gebäude auf
der anderen Seite des Flusses, 120 Bay State Road, und
dann eröffnete die Universität ein Heim in einem Trakt
von Bexley Hall. Im einen wie im anderen Studenten-
heim war der Zutritt zu Phyllis 1 Zimmer verboten, aber in
dem Haus 120 Bay State Road gab es in der Empfangs-
halle chintzbezogene Sofas und Ecken, wo die Lampen –
mächtige Stehlampen mit plissierten Schirmen und drei
Glühbirnen – gedimmt werden konnten, sodass sie ein
gemütliches Licht gaben. Dort lagen und lümmelten sich
Studenten mit Bürstenschnitten und Studentinnen mit
Dauerwellen im Dämmerlicht herum; die Jungen trugen damals weiße gestärkte Hemden und schmale gerippte
Schlipse – der Ivy League Look war noch nicht der lässi-
gen Bluejeans-Mode gewichen –, und die Mädchen trugen
einreihige Perlenketten und pastellfarbene Pullover, deren
Wolle in den Händen zu zergehen schien. Erst als Phyllis
in ihrem letzten Jahr wieder zu ihren Eltern zog, die un-
weit der Garden Street wohnten, konnten sie und Owen
zwischen vier Wänden allein sein; aber das war sicher erst
später, nach dem Schrecken mit Ralph Finneran.
«Er war ziemlich intelligent», sagte sie, «aber in seiner
streitsüchtigen Art gab er anderen das Gefühl, dass sie dumm
seien. Er kam aus – wie kann man das sagen? – einem ganz
einfachen Elternhaus, in der Nähe von Worcester. Einmal
hat er mich zu Thanksgiving dorthin mitgenommen, und
die ganze Familie interessierte sich nur für ein Highschool-
Football-Match, diese hochheilige Rivalität zwischen zwei
alten Textilfabrikstädten; wir mussten alle hingehen, ob-
wohl es in dem Jahr bitterkalt war. Sein Neffe spielte mit
und ist sogar verletzt worden. Sie waren derb, ich hätte nie
versuchen dürfen, nett zu ihm zu sein. Nach Thanksgiving
wusste ich das und wollte mich vorsichtig zurückziehen.»
Owen murmelte verständnisvoll, aber sie sprach trotzdem
weiter, und ihre grauen Augen blickten zurück auf jenen
grauen Tag. «Sie waren römisch-katholisch, und obwohl er
alles ablehnte, was er für Versuche von Menschen hielt, sich
an Illusionen zu klammern, sagte er einmal zu mir, dass wir
natürlich unsere Kinder katholisch erziehen würden. Als ich
sagte, das überrasche mich, wurde er sehr böse. Wenn er
böse war, lief er im Gesicht dunkel an, keine Ahnung, wie er
das eigentlich angestellt hat, aber es machte mir Angst.»
Mit ihrem hellen und leidenschaftslosen Gesicht ver-
suchte sie, Ralphs tödlichen Blick nachzuahmen, und es war ein bisschen so, als würde man billiges Bier in ein kris-
tallenes Weinglas gießen. Owen dachte zum hundertsten
Mal, welches Glück er hatte, mit ihr zusammen zu sein,
selbst wenn es nur für den Augenblick war. Er lernte durch
sie. «Und ich?», fragte er. «Bin ich auch derb und ein-
fach?»
«Owen, angle nicht nach Komplimenten. Du bist ein
Vogel.»
Als Mädchen hatten sie und ihre Freundinnen an der
Buckingham School, in der unschuldigen Grausamkeit ih-
rer Jungmädchen-Clique, Menschen nach drei Typen ein-
geordnet – Vögel, Pferde und Muffins. Owen begriff das
nicht ganz, so wie er auch das Ritual, das sie beschrieb,
nicht begriff; sie hatte es sich angewöhnt, als sie dreizehn
war oder so: Wenn sie im Bett lag und nicht einschlafen
konnte, ließ sie ihre Augen mit religiöser Strenge auf jeder
der vier Ecken der Zimmerdecke ruhen. Es bedeutete ihr
mehr, als sie sagen konnte, oder sagen wollte.
«Ein süßer
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