Landleben
verträumten Farmhausjahren zu
einigen kleinen Geschicklichkeiten gebracht hatte – er
konnte mit drei Tennisbällen jonglieren, über einen Be-
senstiel hüpfen, den er mit beiden Händen vor sich hielt,
auf Treppen mit Stahlkantenstufen harmlose gespielte
Stürze vollführen, um Phyllis zu erschrecken und, wenn sie sah, dass er unverletzt war, zum Lachen zu bringen. Er
sah zu gern, wenn das Blut der Überraschung ihr blasses,
dünnhäutiges Gesicht rötete. Mit seinen gespielten Un-
glücksfällen parodierte er den sehr realen Wunsch, sich vor
sie hinzuwerfen – der Clown, der Prätendent, der es wagte,
vor die Prinzessin zu treten.
Als der Winter den Studenten die Plätze draußen im
Freien nahm, drängten sie sich nach den Vorlesungen und
an den Abenden in den Imbisslokalen und Cafeterias und
in billigen chinesischen und indischen Restaurants am
Kendall Square – damals noch kein Hightech-Wunderland,
sondern ein Überbleibsel der Kleinindustrie, dunkel von
den Rußspuren eines Jahrhunderts – und an der Südseite
des Central Square. Wenn die Türen aufschwangen, ließen
sie scharfe Ströme von schneegesprenkelter Luft mit den
Neuankömmlingen herein; Spiegel liefen feucht an, wenn
die Wärme der dicht gedrängten Leiber sich mit den kal-
ten Wänden berührte. An einem Tisch mit Kunststoffplat-
tc, eingekeilt zwischen drei oder vier anderen von Phyllis ̕ Clique – Anne-Marie Morand aus Montreal, Amy Toong
aus Boston, Jake Lowenthal aus Flatbush, Bobby Sprock
aus Chicopee –, bewunderte Owen, wie sie zuhörte, selber
wenig sagte, nur Zigaretten zwischen ihre blassen, tauben
Lippen steckte und den Rauch in ihre schmutzig blonden
Ponyfransen blies. Sie hatte die Anziehungskraft derer,
die keine Anstrengung unternehmen, um zu leuchten; sie
hielt sie alle zusammen, viele Akteure, die vor einem Pu-
blikum spielten, das aus einer Person bestand. Der laute,
schnell sprechende Jake spottete über die ersten digitalen
Computer: Mark I in Harvard, ENIAC unten in Philadel-
phia, Whirlwind in den Lincoln Laboratories, nur wenige
Straßen von der Stelle entfernt, wo sie saßen. «Berge, die nicht einmal eine Maus gebären», rief er. «Tausende von
Schaltern, Kartons über Kartons mit Lochkarten, Meilen
von Kabeln, Tonnen von Hardware, und all das, um zu be-
werkstelligen, was ein Rechenschieber und ein halbes Ge-
hirn in dreißig Sekunden erledigen können.»
«Jake, das glaubst du doch selbst nicht», sagte Phyllis
zu ihm, so ausgeglichen und leise, dass Owen einen eifer-
süchtigen Stich verspürte: Hier gab es eine fest etablierte
Verbindung.
«Warum soll ich das nicht glauben? He, Phyl, warum soll
ich nicht? Zu der Zeit, als ENIAC gebaut wurde, war der
Krieg vorbei, und die Army hatte keine Verwendung da-
für. Es war ein dreißig Tonnen schweres Ungetüm. Man
braucht zweihundert Kilowatt, um ihn laufen zu lassen,
und er schluckt Strom, selbst wenn er gar nicht läuft, allein
das Kühlen der Röhren kostet ein Vermögen – und davon
hat er achtzehntausend. Achtzehntausend Röhren. Ganz
abgesehen von zehntausend Kondensatoren und sechstau-
send Schaltern.»
«Ja, und er führt Rechnungen durch, für die man tau-
send Leute brauchte, wenn sie es schriftlich machen», sag-
te Amy Toong und warf einen schnellen Blick zur Seite,
um sich zu vergewissern, dass Phyllis, an die Jake sich ge-
wendet hatte, nicht antwortete.
«Du redest von überholtem Zeug», sagte Bobby Sprock
zu Jake. «Vakuumröhren werden bald der Vergangenheit
angehören. Die Speichereinheit von Whirlwind arbeitet
schon mit Magnetkernen statt Röhren. Lochkarten werden
durch Magnetbänder ersetzt. Bell Labs hat etwas entwi-
ckelt, das Transistor genannt wird und das die Schaltungen
mittels Halbleitern aus Streifen von Silizium und dotier-
tem Germanium macht. Die Schaltkreise der Zukunft sind Dünnschicht-Ebenen. Nicht mehr lange, dann haben wir
Computer, die nicht größer sind als ein Kühlschrank.»
«Und fliegen mit hauchdünnen Flügeln zum Mond»,
höhnte Jake. Owen fragte sich, ob ihr gemeinsames Losge-
hen gegen Jake auf Antisemitismus hinauslief, doch Jakes
hartnäckige Angriffslust schien sie dazu aufzufordern, es zu
genießen. Er sagte: «Es gibt molekular bedingte Grenzen
bei der Herstellung von Dünnschicht, und die sind bereits
erreicht. Ihr kommt nicht drum herum, Jungs und Mädels,
Computer sind im Wesentlichen klappernde Energiefres-
ser, so teuer, dass sie sowieso immer nur einen Kunden
haben werden,
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