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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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kleiner Vogel?», fragte Owen. «Piep, piep?»
«Nicht so», sagte Phyllis und zog zu seinem Entzücken
in feierlicher Konzentration die Lippen zusammen, sodass
sich die ungeschminkte Haut kräuselte. Einen Schmoll- mund machen heiße das, erklärte sie ihm, als er ihr liebe-
voll diesen Gesichtsausdruck beschrieben hatte. Jetzt sagte
sie: «Ein großer, träger Vogel, der den ganzen Tag kreisend
in der Luft schwebt, kaum die Flügel bewegt und dann
plötzlich auf seine Beute niederstößt.»
    «Oje! Dann muss ich ja zum Fürchten sein.»
    «Nicht mehr als alle anderen auch. Kill, kill, kill, kill,
kill, kill», sagte sie. Sie erklärte: «Ist aus Shakespeare», und
fügte hinzu: «Schon wenn du Mundwasser benutzt – denk
an all die Mikroben, die du tötest.»
    «Ich bin schockiert», sagte er, «dass du dir vorstellen
kannst, ich könnte je etwas töten. Ich kann nicht mal auf
eine Spinne treten. Ich fürchte mich vor ihnen.» Dennoch
war er sehr angetan von ihrer Beschreibung, weil sie ihm
ein zupackendes, kraftvolles Wesen zusprach, während er
sich doch in seinem Innersten als unschuldigen Zeugen
sah, auf den Handelnde einwirkten, der aber nicht selbst
handelte. Er schmiegte sich enger an Phyllis’ kühle Wärme
und fragte: «Und du? Was bist du? Das vergesse ich immer
wieder.»
    Sie scheute sich, von sich selbst zu sprechen, als müss-
te sie dann einen zu empfindlichen oder genierlichen Teil
ihres Körpers berühren oder als wäre ihr Ego schwer zu lo-
kalisieren. «Kein Pferd», sagte sie. «Ich sehe aus wie ein
Vogel, aber innerlich bin ich in Wirklichkeit ein Muffin.»
    «Ganz bestimmt nicht.»
    Sie war gekrankt. «Ein Muffin zu sein, ist gar nicht so
schlecht. Sie nehmen bereitwillig hin. Sie sind nicht kon-
traproduktiv. Sie tun niemandem weh.»
    Er sah sich, wie er in ihrer Vorstellung niederstieß, ein
dunkles Ding mit der Macht wehzutun. «Auch nicht ande-
ren Muffins?»
    «Sie begegnen keinen anderen Muffins. Muffins sind zu
selten. Die meisten Menschen sind Pferde, die durchs Le-
ben trotten.»
    Er lachte über die subtile Prahlerei. Sie bewertete sich
recht hoch, aber in so subtilen Begriffen, dass sie fast über
seinen Horizont gingen, wie höhere Mathematik, oder wie
die grammatischen Feinheiten einer fremden Sprache.
    Sie hatte genug von der Selbstenthüllung und kam auf
ein früheres Thema zurück: «Ich habe meinem Vater den
unerfreulichsten Brief von Ralph, den mit den schlimms-        ten Drohungen, gezeigt, und Daddy hat ihm geschrieben
und mit juristischen Schritten gedroht.»
    Owen war erleichtert, dann würde er selber sich nicht
darum kümmern müssen. Noch hatte ihr Vater die Verant-
wortung. «Oh, gut. Und hat er das Ekel zum Schweigen
gebracht?»
    «Das wissen wir noch nicht. Es war erst vor ein paar Ta-
gen.»
    «Mein armer Engel, du steckst noch mittendrin. Sag,
musste dein Vater auch an andere Freunde von dir schrei-
ben?»
    Er hatte sie zum Lachen bringen wollen; er hatte nicht
erwartet, dass sie darüber nachdachte. «Letztes Jahr war
da einer, aber da war es seine Idee, nicht meine. Ein Jun-
ge – eigentlich ein Mann, er war älter als ich –, ich hab ihn
den Sommer über oft getroffen, und meine Eltern fanden
ihn völlig unpassend.»
    «Sie fanden ihn unpassend, du aber nicht?»
    Wieder zog sie die Lippen zusammen, doch diesmal
schwieg sie. Sie mochte es nicht, wenn man über einen ge-
wissen Punkt hinaus in sie drang, und hatte ihn ohnehin
schon viel tiefer blicken lassen, als er vor einem Jahr auch
nur zu hoffen gewagt hätte, als sie für ihn lediglich eine Vi-
sion gewesen war, die durch die Korridore schwebte. «Du
also nicht», war seine Schlussfolgerung.
    Sie widersprach nicht. Er hatte also Rivalen, die in der
Außenwelt existierten, wie Jake und Ralph und solche,
die in ihrem Herzen lebten, insgeheim, wie der zittrig
kluge Klein und dieser namenlose Mann, den ihre El-
tern ablehnten. Owen lernte nach und nach, wann er das
Thema wechseln musste, wenn er in den Korridoren ih-
rer Vergangenheit an eine verschlossene Tür kam. «War                 es die Idee deiner Eltern, dass du Mathematik studieren
sollst?»
    «Nein. Sie waren entsetzt, sie sind solche Snobs, nur
humanistische Bildung zählt. Literatur und Kunst, das ist
alles, was sie interessiert. Für sie ist Phantasie das Leben.
Naturwissenschaften sind vulgär. Mein Vater ist Spezialist
für die englische Renaissance – sechzehntes und siebzehn-
tes Jahrhundert –»
    «Danke»,

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