Landleben
aufbewahrt;
wenn man den Deckel aufmachte, roch man noch schwach
die Schokolade.»
«Siehst du», sagte Ian, «dein alter Herr hat, in seinen
bescheidenen Grenzen, sein Werkzeug beherrscht. Heute
kann niemand mehr mit Werkzeug umgehen. Es muss alles
von anderen gemacht werden, von so genannten Experten,
für fünfundzwanzig Dollar die Stunde. Und dann wird es
noch schlecht gemacht. Ein Gutes an der derzeitigen so ge-
nannten Revolution ist, dass Kinder aus der Mittelschicht
das alte Handwerk aufgreifen, das Tischlern und so, als Re-
bellion gegen ihre ungeschickten Eltern, die sich nie die
Einger schmutzig gemacht haben.»
Die müde Tirade, das wusste Owen, hatte mit Ians
wachsenden Schwierigkeiten zu tun, Aufträge für seine
auffallenden Illustrationen zu bekommen, die voller ge-
künsteltet Verve und frei gelassener Ränder waren; viele
gerahmte Proben davon, Bilder, die einst in der Post und
in Colliers und Redbook reproduziert worden waren, hin-
gen um sie herum an den rissigen Gipswänden. Owen war
Kunstliebhaber genug, um Ians Kunst nicht weiter ernst
zu nehmen, mochte aber, zumal da er sein eigenes Arbeits-
feld verteidigte, seine Gleichgültigkeit nicht zu erkennen
geben. «Ein Computer ist ein Werkzeug», sagte et. «Seine
beweglichen Teile sind elektronische Impulse, aber die
gleichen Tätigkeiten könnten auch mechanisch ausgeführt
werden – das ist ja das, was Babbage und Pascal lange vor
dem Computer gemacht haben, aber die Maschinen wur-
den zu komplex und ließen sich nicht mehr bauen. Ian,
warum musst du dir eine ganze neue dämonische Welt-
ordnung ausmalen? Empfindest du das Gleiche, wenn du Brot in einen Toaster steckst, statt es auf einer Pfanne zu
rösten?»
«O., Lieber, lass Ian ausreden», sagte Phyllis. «Ich möch-
te mehr darüber hören, wie es kommt, dass wir alle statt
menschlicher unmenschlich werden.»
«A propos mehr. Möchte jemand noch mehr trinken?»,
fragte Alissa. Es klang so, als hoffte sie, das Angebot würde
abgelehnt.
Ian versprach mit bitterem Sarkasmus: «Noch ein Scotch
auf Eis, Liebes, würde meinen Blick in eine pechschwarze
Zukunft erheblich erhellen.»
«Einen sehr schwachen Bourbon, mit Wasser, Alissa», bat
Phyllis. «Kann ich helfen?»
«Für mich nur Wasser», sagte Owen, um Phyllis zu tadeln
und es Alissa recht zu machen, die sich um ihren Mann und
seinen verschlechterten Zustand sorgte. Der Blick, den sie
Owen zuwarf, drückte aus, dass sie es waren, die nüchtern
gegen die anderen standen. Als sie ihre rundlichen nackten
Beine ausstreckte und sich von dem mit Segeltuch bedeck-
ten Sofa hochstemmte, regte ihn das zu grafischem Den-
ken an: Ihre konvexen Schenkel bogen sich steil nach in-
nen, wo sie zusammentrafen und, ohne ihre grundlegende
Menschengestalt zu verletzen, in eine konkave Wölbung
übergingen, die einen Hohlraum umgrenzte, jenseits des
empfindlichen Vs, das er einmal unerlaubt, in einer elektri-
sierenden Anwandlung, berührt hatte. Es war spät, Zigaret-
tenrauch hing in strudelnden Streifen unter der niedrigen
Zimmerdecke, die unterteilt war durch vanillecremefarben
gestrichene Balken.
«Der Kapitalismus», stellte Ian fest, «verlangt von uns
nur eins: dass wir konsumieren. Je dümmer wir sind, desto
bessere Konsumenten sind wir; nicht nur konsumieren wir die geschnittene Labbermasse, die man Brot nennt, und
die Geschirrspüler-Detergentien, die die Fische in den
Flüssen umbringen, sondern auch Unterhaltung in Dosen.
Je weniger Reibung es verursacht, Dinge über Augen und
Ohren aufzunehmen, desto mehr können wir verkraften
und dafür bezahlen. Kunst im alten Sinne, nämlich dass sie
etwas Gemachtes ist, mit der Hand Gemachtes, von einem
Künstler, der sich nur seinem Auge und seinem Schön-
heitssinn verantwortlich fühlt, die gibt es nicht mehr.
Wenn er sich früher über seinen Zeichenblock beugte und
die Schattierung beispielsweise für die Steine von Venedig
oder für ein Büschel wilder Blumen exakt wiederzugeben
versuchte, machte er das Äußere zu etwas Menschlichem,
es war für ihn ein Vorgang des Verstehens, und wir konnten
es mit ihm verstehen, den Vorgang des Entdeckens mit-
empfinden, Schritt für Schritt. In der Musik wird dies
durch die zeitliche Dimension noch deutlicher: Wir be-
gleiten den Komponisten, während er die Probleme löst,
die Tonarten wechselt, zur Auflösung kommt. Zum Fern-
sehen braucht man gar nichts zu verstehen; dafür soll man
möglichst so dumm sein, dass man
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