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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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dem 1730 erbauten Haus der Morrissevs, im älteren
Teil der Stadt. Anders als die Mackenzies, die anfangs ihre
Nachbarn gewesen waren, hatten die Morrissevs der Stadt-
mitte in der Nähe des Common die Treue gehalten. Als
Owen an dem ursprünglichen DigitEyes bastelte, hatte Ian
auf dem Dach seines Hauses den gemauerten Schornstein
neu verfugt; voller Elan und Optimismus hatte er die alte
bleihaltige Farbe von der Holzverschalung gekratzt und
geflammt und das Holz dann gebeizt. Beizen war angeb-
lich die authentischere Behandlung, aber es sah dunkel
und hässlich aus, provisorisch und billig, was zu den nied-
rigen Zimmerdecken und rissig gewordenen Gipswänden
passte, und zu den verbeulten und beschädigten Fundstü-         cken alten Kunsthandwerks – Lockenten, hölzerne Glie-
derpuppen, eine Wetterfahne aus Blech, mit einem Mann
mit Zylinder und einer Frau mit Haube –, erworben in Trö-
delläden an Straßen in Connecticut, nachdem die beiden
Manhattan verlassen und sich frisch und kauffreudig ins
Landleben gestürzt hatten. Das ganze Haus, selbst Ians or-
dentliches, mit Neonröhren erleuchtetes Atelier, hatte et-
was Staubiges; die Seele war aus dem Haus entschwunden,
was es schwerer machte, ihre Einladungen abzulehnen.
Die Kinder der Mackenzies kamen nicht gern zum Spie-
len her, obwohl die zwei Kinder der Morrisseys ungefähr
gleichaltrig mit Gregory und Iris waren.
    Phyllis’ sorglose, weiche Stimme zog Aufmerksamkeit
auf sie. Das dritte Glas Wein, oder auch ein Hauch intel-
lektueller Stimulation, brachte ungewohnte Röte auf ihre
Wangen. Ihre ferne Schönheit – der bleiche Kopf, den sie
hoch erhoben hielt, immer über den Massen in den laby-
rinthartigen Korridoren des Lebens – minderte die nervö-
sen, rundlichen Reize Alissas, von denen Owen das Gefühl
hatte, dass sie sich um ihre Unzufriedenheit legten wie die
Federn eines plumpen nistenden Vogels. Das Unglücklich-
sein anderer Menschen, so wurde ihm bewusst, war seit
seiner Kindheit sein Element gewesen: Es zu spüren lenk-
te seine Aufmerksamkeit und belebte ihn.
    «Wir reagieren», antwortete Ian rasch, «wir reagieren auf
die verdammten Maschinen und verrecken, wenn sie ab-
geschaltet werden.» Die beiden Paare waren mittlerweile
Experten für diese Abende zu viert – die Kinder oben, mit
dem leisen Gemurmel des Fernsehens, die altehrwürdige
Nachbarschaft, die draußen vor den Fenstern zur Ruhe
kam und die jedes Mal, wenn ein Auto um die Biegung der
Common Lane kam, ins Licht sprang. Phyllis hatte nichts        gegen Ian; wie ihr Vater hatte er sein Leben über zweidi-
mensionale Aufgaben gebeugt zugebracht, und seine dun-
kel-prophetische Stimmung erinnerte sie womöglich an das
trübsinnige Gerede der Erwachsenen in Universitätskrei-
sen von Cambridge. Ian, der das spürte, ging auf sie ein.
«Wisst ihr eigentlich», sagte er, darauf bedacht, Gwen und
Alissa mit einzuschließen, «dass es noch in der Generation
unserer Großeltern absolut üblich war, dass Menschen aller
Vermögensverhältnisse ein Musikinstrument spielten, beim
gemeinschaftlichen Singen eine zweite Stimme singen
konnten und die Fähigkeit besaßen zu zeichnen – draußen
im Freien zu skizzieren und mindestens zu aquarellieren?
Alle viktorianischen Reisenden konnten zeichnen, und alle
Schriftsteller, nicht nur Thackeray. Heute können selbst
die professionellen Künstler nicht mehr zeichnen. Sie klat-
schen diese riesigen Abstraktionen auf die Leinwand, die
eine Beleidigung sind, ein Witz. Jeder hat eine Brownie-
Kamera. Wahrscheinlich nicht mal eine Brownie – das zeigt
nur, wie alt ich bin. Für Brownies muss man zu viel können,
sie sind nicht automatisch genug.»
    Weil es sie nervte, dass sie die Stimme ihres Mannes so
lange hören musste, schlug Alissa auf dem alten Samtsofa,
das mit Segeltuch neu bezogen und mit mehreren löchri-
gen Strickschals dekoriert war, immer wieder abwechselnd
die Beine übereinander. «Ich erinnere mich», steuerte sie
bei, und ihre ausgelaugten Augen wanderten unsicher von
einem Gesicht zum andern, «dass mein Vater immer die
Entfernung in Schritten maß für seine alte Kodak. So zum
Beispiel, wenn er mich und meinen Bruder fotografierte.
Die Bilder sind erstaunlich scharf geworden. Dabei war
sogar der kleine dreieckige Sucher abgebrochen. Er hat
es nach Gefühl gemacht. Ich fand Schnappschüsse immer faszinierend – es gab gar nicht so viele, nicht so viele wie
heute. Er hat sie in alten Pralinenschachteln

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