Landnahme
geheiratet habe. Bernhard war der Mann in meinem Leben, der mir zu meinem Glück fehlte.
Ich dachte an die verstorbene Frau Heidepriem, meine frühere Chefin, und sagte zu Susanne, auch wenn ich nie verheiratet war und zwei Kinder habe, die nichts von mir wissen wollen, eigentlich hatte ich wirklich in meinem Leben Veda gehabt, was immer das sein soll.
Peter Koller
Als kein Hochwasser mehr zu erwarten war, wurden die Reste der Holzbrücke abgetragen, und im Mai begann der Bau der neuen Steinbrücke. Riesige Tieflader standen auf beiden Seiten der Mulde, und neben den Rollwagen, in denen die Arbeiter wohnten und die wie alte ausrangierte Zirkuswaggons aussahen, türmten sich Sandberge und Steinquader. Auf einem mit einem Drahtzaun abgesperrten Platz lagerten Bauholz und mit einer dunkelroten Rostschicht überzogene Stahlstangen.
Damals gingen wir nach Feierabend häufig zum Fluss, um den Arbeitern zuzusehen, die in den Wohnwagen ihr Essen kochten, sich wuschen und rasierten oder sich in ihrer Arbeitskleidung an das Ufer gesetzt hatten, eine Angel in das Wasser hielten und ihr Bier tranken. Es war nicht warm genug, um im Fluss zu schwimmen, doch wir gingen so häufig zur Mulde wie sechs Jahre zuvor, als ein Autobahnabschnitt wegen Straßenarbeiten gesperrt war und alle Autos umgeleitet wurden und über unsere Holzbrücke fahren mussten, um zur nächsten Autobahnauffahrt zu gelangen. Damals ging ich noch zur Schule und saß fast jeden Nachmittag mit meinen Freunden auf dem Geländer der Brücke. Wir begutachteten die vorbeifahrenden Autos und genossen das Vibrieren der alten Holzbrücke, die unter jedem darüber fahrenden Wagen zitterte und ächzte. Sie muss wohl damals den letzten Hieb abbekommen haben, denn im darauf folgenden Winter hielt sie herantreibenden Eisschollen nicht mehr stand.
Ein halbes Jahr lang wurde der Autobahnverkehr über unsere Brücke umgeleitet, und wir bekamen nie genug davon, uns die vielen Autos anzusehen, die Marken und Typen der herannahenden Wagen zu erraten und Wettendarauf abzuschließen. Damals gab es nicht viele Autos in unserer Stadt, vielleicht achtzig Leute besaßen einen eigenen Wagen und das waren zumeist Vorkriegsmodelle, die notdürftig instand gehalten wurden, sogar ein Holzvergaser war dabei, mit dem Greschel, der Fleischer, seine Touren machte. Der umgeleitete Autobahnverkehr brachte uns Autos vor Augen, die von Berlin nach München rasten und die wir zuvor nur von Bildern kannten, aus Zeitungen oder von den Sammelbildern, die jeder von uns besaß. Wir träumten von Autos. Wir träumten von ihnen, wenn wir auf der Brücke saßen, wenn wir auf dem Schulhof zusammenstanden und uns unterhielten, und noch im Bett kreisten unsere Gedanken allein um die Autos. Ein paar Jungen redeten ab und zu über Mädchen, aber mehr als an dünnen Hippen, die vorne und hinten nichts vorweisen konnten, waren sie an den Autos interessiert, die über unsere Brücke polterten. Autos aus ganz Europa waren dort zu sehen, die neuesten Modelle waren dabei, für uns war es eine fortwährende vorüberrollende Automobilausstellung, eine tagtägliche Vorführung aller Wagen, die auf der Welt für Geld zu haben waren. Da sie sehr langsam über die Brücke fahren mussten, hatte man dort den besten Platz, um sie zu betrachten, einzuschätzen und fachmännische Urteile über sie abzugeben.
Damals auf der Brücke kam ich mit Bernhard zum ersten Mal ins Gespräch, zuvor hatte ich ihn auf dem Schulhof gesehen, aber nie ein Wort mit ihm gewechselt. Es war schon Abendbrotzeit, und die meisten Kinder waren verschwunden. Da die Dämmerung einsetzte, holten wir ganz offen unsere Zigaretten heraus und steckten uns eine an oder eine halbe, denn um zu sparen, pflegten wir sie mit einer Rasierklinge in der Mitte durchzuschneiden, um immer nur eine halbe zu verbrauchen. Bedeutsam war für uns ohnehin allein das Entzünden der Zigarette, die ersten zwei, drei Züge und dann das gekonnte Wegschnippen derKippe, möglichst hoch durch die Luft und zielgenau auf einen bestimmten Punkt. Das machte uns Spaß und brachte Anerkennung, das Rauchen selbst langweilte mich damals und mich ekelte vor dem Geruch, der an meinen Fingern haftete. Wenn die Kleinen zu uns kamen und auf die Zigaretten starrten, um rechtzeitig und vor den anderen nach den weggeschnippten Kippen zu greifen, scheuchten wir sie weg und sagten, sie sollten heimgehen, für sie sei der Aufenthalt auf der Brücke zu gefährlich und außerdem verboten.
An jenem
Weitere Kostenlose Bücher