Landnahme
Schmiede und die Reparaturwerkstatt gehörten. Neben ihm saß jemand, vielleicht war es der ältere Mann, dessen Auto wir geplündert hatten. In der Dunkelheit und bei den funzligen Gaslaternen war es nicht zu erkennen, zumal uns die Scheinwerfer des Lieferwagens blendeten. Als sie an uns vorbeigefahren waren, drehten wir uns nach ihnen um und johlten und winkten ihnen hinterher. Am Neumarkt, wo sich unsere Wege trennten, blieben wir an einem erleuchteten Schaufenster stehen und zeigten einander, was wir uns genommen hatten. Ich konnte mit meiner Beute zufrieden sein, wenn ich auch nicht wusste, wozu ich es gebrauchen konnte. Die anderen hatten noch überflüssigere Dinge gestohlen. Bernhard schleppte den Wagenheber mit, und als ich ihn fragte, was er denn damit anfangen wolle, erwiderte er, so etwas könne man immer gebrauchen, er würde ihn seinem Vater geben, der in seiner Werkstatt sicher dafür Verwendung habe.
»Und was sagst du ihm? Was sagst du, wo du es her hast?«
Er zuckte mit den Schultern. »Gefunden«, sagte er dann.
In der folgenden Zeit sah ich Bernhard öfter. Er kam auf dem Schulhof manchmal zu mir und meinen Freunden, stellte sich neben uns und hörte zu, ohne sich am Gespräch zu beteiligen. Er stand da wie bestellt und nicht abgeholt, und da er nicht in unsere Klasse ging, sprachen wir kaum mit ihm. Irgendwann sprach er mich auf unseren gemeinsamen Diebstahl an, er fragte mich nach dem Necessaire, und ich erwiderte, ich wüsste gar nicht, wovon er redete, und er solle besser den Mund halten, was er dann auch tat.
Ein halbes Jahr später, als die Autos nicht mehr durch unsere Stadt umgeleitet wurden, zerstörte das Eis die Brücke. Mitte Februar kam das Hochwasser und stieg bis knapp unter den höchsten je gemessenen Wasserstand. Da der Fluss große Eisschollen mit sich führte, die von den der Brücke vorgelagerten hölzernen Eisbrechern nicht zerteilt wurden, sondern sich an diesen schrägen Holzpfeilern übereinander stapelten, wurden Tag und Nacht Wachen aufgestellt. Die hatten mit langen Stangen die Schollen frei zu machen, um sie dann durch die Brücke hindurchzumanövrieren. Wenn eine besonders große Eisscholle herantrieb, die sich vor der Brücke die Schräge hochschob ohne zu bersten, knirschte die Brücke laut auf, und wenn man auf ihr stand, spürte man durch den ganzen Körper die Erschütterung. Die Männer, die mit den Stangen hantierten, an denen oben Eisenhaken angebracht waren, versuchten von beiden Uferseiten aus, die Eisschollen von den Brechern zu lösen und einen Riss oder Spalt in sie hineinzuschlagen, damit die herausgebrochenen Bruchstücke vom Wasser mitgerissen werden konnten. Und wie wir uns ein halbes Jahr zuvor die Autos angesehen hatten, so saßen wir nun wieder auf dem hölzernen Geländer, schauten den Männern zu und schlossen Wetten auf ihre Versuche ab, die Eisschollen vonden Brückenpfeilern zu lösen und die dicken, aufeinander getürmten Eisklumpen auseinander zu bekommen und unter der Brücke hindurchzuführen.
Nach zwei Tagen wurden wir von der Brücke gescheucht. Es war Barthel, einer unserer Polizisten, der stets mit seinem Schäferhund durch die Stadt marschierte. Über der linken Schulter hing seine schwarze Diensttasche, die er bedeutungsvoll aufklappte, wenn er sich etwas zu notieren hatte, mit der rechten Hand hielt er seinen Hund an einer kurzen Leine und hieß ihn, sich neben ihn zu setzen, wenn er beide Hände brauchte, um etwas aufzuschreiben. Wenn ihn jemand ansprach, sah der Hund ihn an, sprungbereit, wie es uns schien, und wandte nicht eine Sekunde den Blick von ihm ab. Barthel erzählte viel über das Vieh, es sei ein ausgebildeter Polizeihund, bestens abgerichtet und in der Lage, es mit jedem Banditen aufzunehmen. Als Barthel mit dem Hund zu uns auf die Brücke kam, ahnten wir, was er wollte. Zuvor hatte er mit den Männern an der stadtseitigen Uferböschung gesprochen, die Männer hatten auf uns gewiesen, und danach war Barthel die Böschung hochgelaufen und direkt zu uns gekommen.
»Verschwindet hier«, sagt er grob.
Als wir protestierten, machte der Hund einen Schritt auf uns zu. Ich wusste nicht, ob es der Hund von sich aus tat, ob er unseren Widerspruch spürte und darauf trainiert war, aggressiv zu reagieren, oder ob sein Herr ihm unmerklich mit der Führungsleine ein Zeichen gegeben hatte. Jedenfalls war die Hundeschnauze nur noch dreißig Zentimeter von meinen Beinen entfernt, das Tier knurrte, und mir erstarrte das Blut in
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