Landpartie mit drei Damen
Mrs Lace um sein Vertrauen. Für sie stand fest, dass er schlechte Nachrichten aus der Heimat erhalten haben musste – vielleicht verhielt sich das Militär unerwartet loyal gegenüber dem Usurpator, vielleicht war der Kommunismus eine größere Bedrohung, als anfangs befürchtet. Stundenlang saß sie über der Europakarte in ihrem Schulatlas, um eine Antwort auf ihre Fragen zu finden, aber am Ende war sie genauso ratlos wie zuvor. Leider mangelte es ihr an Allgemeinbildung, und sie erklärte gern, dass Politik, besonders Außenpolitik, im Vergleich zu Kunst und Literatur, schrecklich langweilig sei. Ihre Zeitungslektüre beschränkte sich auf die Klatschkolumnen, Berichte über Filmstars und leicht verdauliche Meldungen wie die Geburt einer doppelköpfigen Amsel in Dumfriesshire.
Von Noel kam keine Hilfe. Machte sie eine Andeutung wie etwa: »Ich denke oft, dass es interessant und vergnüglich wäre, einmal eine Balkanreise zu unternehmen«, antwortete er nur: »Was für eine ungewöhnliche Idee, Darling. So eine Reise ist wahnsinnig teuer, und da es dort nichts für dich zu tun gibt, glaube ich, dass Südfrankreich viel mehr nach deinem Geschmack wäre.« Zuerst fand Mrs Lace diese Bemerkung beleidigend – glaubte er denn, sie sei ein flatterhaftes Dummchen, das sich nur amüsieren wollte? Später, nachdem sie über seine Worte nachgedacht hatte, las sie jedoch eine andere Bedeutung heraus. Vielleicht hatte er, obschon außerstande, mit seiner Liebsten in sein Reich zu reisen, den Plan gefasst, sie in einer prachtvollen Villa an der Côte d’Azur unterzubringen, wo er sie im Urlaub besuchen konnte. Ein solches Arrangement würde ihr gut gefallen, da sie eine Schwäche für Südländer und fürs Sonnenbaden hatte. Sie fragte sich, ob es wohl unverschämt wäre, ihn außerdem um ein Appartement in Paris zu bitten.
Mrs Lace hatte einige Mühe, Mr Leader in den Jolly Roger zu locken. Er spürte instinktiv, dass diese Neuankömmlinge, die seit ihrer Ankunft alles durcheinanderbrachten, ihn nicht als ebenbürtig akzeptieren würden, und er befand sich nicht gern in der Gesellschaft von Menschen, die ihm intellektuell womöglich überlegen waren. Doch am Ende konnte Mrs Lace ihn davon überzeugen, dass es besser für ihn wäre, sie in den Jolly Roger zu begleiten, indem sie andeutete, dass er möglicherweise beauftragt würde, Kostüme für das Fest zu entwerfen, was er zweifellos mit seinem Gewissen vereinbaren könne, solange die Bezahlung gut sei. Er beugte sich der Kraft dieses Arguments, und außerdem war es nicht seine Art, Einladungen zum Essen auszuschlagen.
Bei ihrer Ankunft im Jolly Roger stellten sie fest, dass man schon im Garten an einem Teetisch saß. Die Gesellschaft bestand aus Marjorie, Poppy, Eugenia, Jasper und Mr Wilkins. Noel war nicht da, denn er musste tagsüber in London sein. Mrs Lace ärgerte sich über seine Abwesenheit, verbarg das aber und nahm neben Jasper Platz. Für den armen Mr Leader gab es keine Sitzgelegenheit, sodass er sich aus dem Gastraum einen Stuhl holen musste. Poppy und Lady Marjorie nahmen ihn in ihre Mitte und fragten ihn mit demonstrativer Freundlichkeit, warum er und seine Freunde nicht an dem Kostümfest teilnähmen.
»Das lassen unsere politischen Prinzipien nicht zu«, sagte Mr Leader. »Danke, für mich bitte sehr dünn, ohne Milch und Zucker. Und wir haben viel zu tun.«
»So viel«, sagte Eugenia, die sofort zum Angriff überging, »dass Sie noch immer nicht in unserem Parteibüro gewesen sind und sich umgeschaut haben?«
»Noch nicht«, sagte Mr Leader.
»Wussten Sie, dass das Haus angezündet wurde?«, fragte sie und fixierte ihn mit Augen wie riesige blaue Scheinwerfer.
»Ach? So ein Pech.«
»Danke, Ihr Mitgefühl können Sie sich sparen. Wir würden gern wissen, was Sie vorgestern Nacht gemacht haben.«
Mrs Lace warf Mr Leader einen besorgten Blick zu.
»Ich habe keine Ahnung. Was haben Sie selbst denn gemacht?«
»Werden Sie nicht unverschämt!«, sagte Eugenia steif. »Es ist doch sonderbar, dass Sie, ein bekannter Pazifist, dabei beobachtet wurden, wie Sie sich kurz nach Ausbruch des Feuers schuldbewusst vom Tatort entfernen. Wie erklären Sie sich das?«
Mr Leader wartete darauf, dass Anne-Marie ihm ein Alibi verschaffen würde. Doch Anne-Marie tat nichts dergleichen. Sie wollte unbedingt vermeiden, dass Noel und Major Lace von ihrem mitternächtlichen Rendezvous erfuhren. Wenn es an diesem Tisch herauskäme, würde Noel es gewiss
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