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Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Titel: Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Hand auf ihren Arm.
    „Was tust du da?“, flüsterte ich.
    „Das sind Geister, oder?“
    Verständnislos sah ich sie an, während sie fortfuhr: „Dann müssen wir sie beseitigen.“
    „Warum?“
    „Es sind Geister. Böse Wesen. Wie alles, das Unheil über uns bringt.“
    Ich schüttelte den Kopf. „Das stimmt nicht.“
    „Nein? Was habt ihr dann bis vorgestern hier getan? Ihr jagt doch Geister und dergleichen.“
    „Wir jagen böse Geister“, gab ich zu bedenken. „Das, was den Menschen schadet. Was du da unten siehst, schadet niemandem!“
    „Woher willst du das wissen?“
    „Kommen nachts kleine Mooskinder in die Häuser Leyens und stehlen Säuglinge oder töten Vieh?“
    Maria blieb stumm.
    „Bringen sie die Bauern um ihre Ernten und schlitzen den höheren Bürgern die Kehle auf?“
    Weiterhin sagte Maria nichts. Aber ihr Blick war finster geworden vor Verbissenheit. Sie wollte Jagd machen auf diese Waldgeister, und zum ersten Mal blickte ich hinter ihre Fassade und sah, wie sich die eigene Verzweiflung oder Ohnmacht im Hass Raum zu machen versuchte.
    „Ich dachte, ihr seid gekommen, um solchem Treiben ein Ende zu bereiten“, presste sie zwischen den Zähnen hervor.
    „Nein“, sagte ich und versuchte, sanft zu klingen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren versuchte ich, sanft zu sein. „Wir dürfen nicht alles töten, was wir nicht verstehen. Dann sind wir nicht besser als die Inquisition.“
    „Was hat das mit der Kirche zu tun?“
    „Eine Menge. Die Inquisition macht Jagd auf alles, was die Menschen nicht verstehen. Ungeachtet dessen, ob es gut ist oder schlecht. Die Kräuterfrau, die das Fieber der Kranken lindert, wird auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil die Leute ihre Kunst nicht verstehen. Magier, die Schutz vor bösen Geistern gewähren, werden umgebracht. Schriften, die zu helfen imstande sind, werden stapelweise dem Feuer übergeben.
    Was hätten wir davon, wenn wir diese Feen vertrieben? Grimmige Zufriedenheit in der Seele? Befriedigten Hass, stellvertretend für unser eigenes Unverständnis? Was haben diese geisterhaften Kinder uns getan, dass sie ihre Existenz nicht mehr verdienen?“
    Maria schnaubte. Als wir zurückblickten, dorthin, wo die Kinder des Sonnenaufgangs getanzt hatten, merkten wir, dass die Melodie verstummt war.
    „Immerhin hast du ihnen die Stimmung verdorben“, meinte ich, „und das als Jägerin, die die Natur zu verstehen sich auf die Fahnen geschrieben hat. Würdest du ein Kitz aufschrecken, das von seiner Mutter gesäugt wird?“
    Ruckartig stand sie auf, legte Mantel und Büchse wieder um und stiefelte davon.
    Ich hatte Mühe, hinterherzukommen.
    Menschen!
    Warum waren wir immer so voreingenommen? Warum hassten wir das, was wir kaum kannten, ohne nach Gut und Böse zu fragen?
    „Glaubst du an Gott?“, fragte ich, als ich sie eingeholt hatte.
    „Warum fragst du?“
    „Nun“, überlegte ich. „Müssten wir nicht einen Gott genau so jagen wie Hexen und Geister? Ist er nicht auch etwas, das wir nicht fassen können, dessen Beweggründe wir nicht verstehen und bisweilen nicht einmal akzeptieren oder einsehen können?“
    Doch Maria gab keine Antwort.
    Jetzt nicht und den ganzen Rückweg nicht.
    Sie sprach noch nicht einmal mit mir, als ich mich verabschiedete, um für ein spätes Frühstück zum Landsitz des Grafen zurückzukehren und mich dem Spott meiner Freunde auszusetzen, da ich doch alleine mit einer Frau im Wald verschwunden war ...

K apitel 4

    Unheimliche
    Geschichten
    1.
    D as Bild war groß und in einen Rahmen von meisterlichem Handwerk gefasst.
    Es regnete.
    Das hieß, es stellte Regen dar, aber manchmal kam es einem beim Betrachten vor, als regne es wirklich vor den Fenstern der Werkstatt, die dort abgebildet waren.
    Ein Geigenbauer im besten Alter hatte sich dort zusammen mit seiner jungen Frau porträtieren lassen.
    Das Bild strahlte mit jeder Faser der Leinwand, auf der es in Ölfarben festgehalten war, Selbstbewusstsein aus. Wer es in diesem Handwerk so weit gebracht hatte, dass er sich ein solches Bildnis seiner selbst leisten konnte, durfte stolz darauf sein. Er hatte Einfluss und mächtige Freunde mit noch mehr Einfluss. Die Fülle des irdischen Lebens lag ihm und der Musik, die er erschuf, zu Füßen.
    Ja, es war seine Musik. Er erweckte sie zum Leben. Er gab den göttlichen Funken hinein, indem er das Instrument fertigte, das ein Musiker brauchte, um der Welt den Wohlklang der großen Komponisten wiederzugeben. So wie Gott das Leben

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