Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
gespenstisch im tosenden Sturm drehte.
Sie drehte und drehte und drehte sich, gab sich als beinahe völlig wild gewordene Apparatur.
„He!“, rief auf einmal eine Stimme, und unwillkürlich musste ich blinzelnd durch den Regen zur Seite schauen.
Maria Regener mit dem wilden, schwarzen Haar.
Auch das noch!
Immerhin konnte sie uns bei diesem Wetter nicht bedrohen. Das Pulver wäre gewiss mehr als nur nass geworden. Doch dann erkannte ich, dass sie sich hervorragend über diesen Umstand hinwegzuhelfen vermochte. Sie trug eine gespannte Armbrust in den klammen Händen.
Na, hervorragend.
Schlecht für uns, denn wir würden uns erklären müssen – und unsere gegenseitigen Sympathien waren seit unserer letzten Begegnung nicht gerade gewachsen.
Ihre Augen funkelten in der Überzeugung, dass wir irgendwas im Schilde führen mussten.
„Wir sind auf dem Weg zu Mühle“, versuchte Salandar ihr zu erklären.
„Wozu?“
Diese Frau!
Wenn es an diesem Ort jemanden gab, der den Argwohn für sich gepachtet hatte, dann sie.
„Das würden Sie uns ohnehin nicht glauben“, funkte Hagen kurz angebunden dazwischen, aber Salandar stieß ihn mit der flachen Hand vor die Schulter, sodass er Halt suchend mit den Armen rudern musste, um nicht auf die schlammige Wiese zu fallen.
„Kommen Sie doch mit!“, schlug Salandar vor. „Ich schwöre Ihnen, wir werden nichts anfassen, das wir nicht anfassen sollten.“
Maria Regener rümpfte die Nase und wies uns mit einer knappen Bewegung der Armbrust an weiterzulaufen.
So trieb sie uns fast wie Gefangene, jedoch in sicherem Abstand, den Hügel zur Mühle hinauf.
Nicht sonderlich auf diesen Umstand achtend interessierte ich mich viel mehr für die aberwitzige Musik, die von der Mühle zu uns herunter schallte.
Die Mühle selbst wirkte bedrückend und gespenstisch auf jeden, der sich ihr näherte. Es hatte beinahe den Anschein, als ginge der Sturm von den skeletthaften Flügeln aus, die den Wind mit großer Geschwindigkeit ins Tal beförderten. Alles ächzte, und über dem Ächzen schwebte das wirre Akkordeonspiel von ... ja, von wem eigentlich?
Erst langsam erkannten wir, wer das Aerophon bediente. Es war ein Mann mit Müllerkappe und zerzaustem Vollbart. Falten zierten nebst einer Knollnase sein Gesicht. Er saß mitten im strömenden Regen auf einer Bank an der Außenseite des Gebäudes und schwelgte in seinen misstönenden Klängen. Seine Erscheinung mutete sonderbar an, denn eigentlich hätte das schwache Licht einer Petroleumfunzel, das aus dem Mühleninneren drang – der Müller war mehr als offensichtlich Hals über Kopf getürmt – nicht ausreichen dürfen, den Akkordeonisten derart klar und in allen Farben erscheinen zu lassen.
„Wer sind Sie?“, fragte ich, als wir in Hörweite waren.
„Der Müller. Wer denn sonst?“, schnarrte der Musizierende belustigt.
Es war eine rhetorische Frage, als mangle es mir an Geisteskraft, diesen Umstand zweifelsfrei auszumachen.
„Warum sind Sie hier?“, brachte es Salandar auf den Punkt.
„Ah“, machte der Geistermüller. „Die Musik und der Sturm. Sie bedingen einander.“
„Es scheint fast so“, gab ich zu, während ich die knarzenden Flügel der Mühle über uns schwingen sah. Viel zu schnell waren sie, das Holz stöhnte fast unter der Last. „Aber was hat Sie gerufen?“
„Die Musik“, behauptete der Müller. „Die Musik hat mich gerufen.“
Maria Regener trat neben uns. Doch im Gegensatz zu meinen Erwartungen wirkte sie gefasst und zielte mit der Armbrust auf den Geist.
„Was wollen Sie denn damit?“, fragte dieser, ohne jedoch einmal mit dem Spielen aufzuhören.
„Nicht!“, rief Hagen noch, doch sie hatte bereits den Abzug betätigt.
Säuselnd schlug der Bolzen im Holz der Mühle ein, geradewegs durch die Schulter des Müllers hindurch. Dieser ließ ein Zischen und eine ruckartige Bewegung folgen, infolge derer er das Akkordeon versehentlich fallen ließ. Scheppernd erstarb die Musik, während sich der Müller erhob und seine Erscheinung von dem Bolzen entfernte.
„Was tun Sie?“, fauchte er.
„Sie haben den Bolzen in Salz getaucht“, stellte Salandar anerkennend fest. Die Jägerin nickte und spannte derweil die Sehne erneut.
„Lassen Sie mich doch in Ruhe!“, keifte uns der Geist des Müllers an, und ich verspürte einen Anflug von Mitleid. Schließlich hatte der Geist uns an sich gar nichts getan ... warum sollten wir ihm also etwas tun?
Frau Regener sah dies anders, sie legte an, und
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