Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
da musste er wohl durch. Wir hatten uns in den Augen der Einwohner dieses kleinen, verschlafenen Städtchens offensichtlich wie die letzten peinlichen Trottel aufgeführt.
Zudem wurde das Wetter immer ungemütlicher, der Herbst war nun mit aller Endgültigkeit im Weserbergland angekommen und machte seinen zugesprochenen Gewohnheiten in Form von heftigen Regenfällen und klirrender Kälte alle Ehre. Ich machte mir schon Gedanken darüber, wie es damit weitergehen mochte, denn November und Dezember standen uns ja noch ins Haus. Marius tauchte von Zeit zu Zeit auf, zog es aber ansonsten vor, sich das räudige Katerfell vor dem heimischen Herd warmzuhalten, solange wir keine konkreten Ideen oder Pläne entwickelt hatten, wie wir vorankommen könnten. Stattdessen liefen Hagen und ich durch das Mistwetter und fingen uns diverse Unhöflichkeiten ein.
Wenigstens hatten wir eine warme, sogar recht luxuriöse Unterkunft. Aber wir wären auch ohne den gräflichen Pomp ausgekommen. Geld besaßen wir ja dank unserer erfolgreicheren Aufträge aus vergangenen Tagen im Überfluss.
Überhaupt waren wir bestens für das Leben in dieser abscheulichen Welt gerüstet. Mit einem armen Bauern, der im Winter zusehen musste, dass weder er und seine Familie noch sein Vieh verhungerte, mochte ich nicht tauschen. Da hatte das unstete Leben, das wir führten, doch einiges für sich. Wir hatten Geld, waren gebildet und gut erzogen. Wir konnten uns mühelos in jeder Gesellschaftsschicht bewegen, ohne aufzufallen, sofern man uns denn ließ. Unsere Chancen jedoch, uns in nächster Zeit in höheren Kreisen zu tummeln, tendierten allmählich gegen null.
Immerhin hatte Graf Thaddäus noch kein Missbehagen darüber geäußert, dass unsere Tätigkeit ergebnislos blieb. Sein Glaube, dass die Serie von Morden einer Widernatürlichkeit zu schulden war, schien unerschütterlich.
So kam es, dass wir uns zum sonntäglichen Gottesdienst in der Michaeliskirche einfanden, um den strengen Worten Pastor Steinbergs zu lauschen. Zwar interessierte sich niemand von uns dreien für kirchliche Lehrmeinungen in einer Welt, deren Pragmatik anderes als fromme Reden erforderte, allerdings war das Erscheinen im Gottesdienst eine unserer wenigen Möglichkeiten, guten Willen zu beweisen und unser Ansehen bei Pastor und Stadt nicht ins Bodenlose sinken zu lassen. Wenn wir in der Kirche saßen, brachen wir zur selben Zeit wenigstens nicht in anderer Leute Häuser ein.
An diesem folgenschweren Sonntag hatte die Familie des Kaufmanns Johannes Ehlert beschlossen, in ihrer Villa eine Matinee zu veranstalten, um den gehobenen Kindern der Stadt ein Forum zu geben, Aufmerksamkeit von der einen oder der anderen Seite zu erhaschen. Der Graf freute sich über das Vorhaben und hatte sogar jüngst seine Tochter Anna für eine Darbietung auf der Violine empfohlen. Als Gäste des Grafen waren wir – wider Willen der Gastgeber – ebenfalls eingeladen. Jede Höflichkeit, die wir irgendjemandem im Ort erweisen konnten, war uns recht, denn so ließ sich Stück für Stück der Riss in unserer gesellschaftlichen Fassade wieder schließen.
So fanden wir uns also inmitten all dieses elitären, affektierten Verhaltens mit Weingläsern und Kanapees in den Händen wieder und balancierten wortgewandt zwischen den ortsansässigen wie den von auswärts angereisten Bürgern edleren Standes oder höherer Bildung. Das Anwesen der Ehlerts war beträchtlich. Eine schöne, geräumige Villa mit vielen barocken Elementen. Mittelpunkt der Veranstaltung war ein Salon voller Ölgemälde, in dem wir uns wiederfanden, als man uns höflich, aber bestimmt darauf hinwies, dass der musikalische Anteil des Vormittages gleich beginnen werde. Salandar, Hagen und ich nahmen in der letzten Reihe Platz und hofften, dass dem Getue, dem sich die Gesellschaft von Rang und Namen stets hingab, wenigstens durch die Musik etwas Abwechslung widerfahren würde. Immerhin hatten wir an diesem Vormittag die hohen Herren von Leyen einmal persönlich kennenlernen dürfen, wenn auch in vielen Fällen zu deren Widerwillen.
In Leyen waren fünf äußerst begüterte Kaufmannsfamilien ansässig, oder vielmehr vier, wenn man die verwitwete Frau Conradi nicht dazu zählte, deren Wohlstand aber dennoch zählbar zu sein schien. Die übrigen waren Familie Claussen, Familie Bergholz, Familie Gode – bei denen unser Freund, der hinterhältige sprechende Kater, sein Zuhause gefunden hatte – und natürlich unsere Gastgeber, die Ehlerts. Sie
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