Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
alle förderten die musikalische Erziehung ihrer Kinder ganz besonders, genau so wie auch die reicheren Familien aus den umliegenden Ortschaften. Es war ein langweiliges Elend, und als wir uns gesetzt hatten und um Ruhe gebeten worden war, ging es meinem Herzen wohler, da die höhere Gesellschaft ihr Gehabe im Grunde selbst abstoßend fand.
Neben uns nahm Pastor Steinberg Platz. Offenbar bemerkte er diesen Umstand zu spät und war darüber nicht sehr glücklich, was mich wiederum grimmig belustigte.
Nachdem die Herrin des Hauses, Mechthild Ehlert, schließlich für andächtige Ruhe gesorgt hatte, zeigten die Kinder des Geldadels auf äußerst gehobenem Niveau ihr Können, und meine Gefährten und ich mussten uns eingestehen, dass das, was wir hier hörten, musikalisch tatsächlich äußerst erwähnenswert war. Darüber hinaus sorgte es auch für beträchtlich mehr Kurzweil als das gesellschaftliche Wortgeplänkel.
Nachdem eine Reihe Kinder oder junger Erwachsener ihr Können an Cembalo, Flöte, Bratsche und Cello unter Beweis gestellt hatten, war es an Anna von Eulenbach, das geneigte Publikum mit den Klängen ihrer Violine zu begeistern. Allen voran natürlich Hagen, dessen Blicke die Grafentochter, die über ihre ungewöhnliche Schönheit und ihren Stand hinaus auch noch ein unvergleichliches Talent für Musik besaß, ganz offensichtlich anbeteten.
Doch dies war der Moment, der uns alles hier über den Kopf wachsen ließ und uns gleichzeitig wieder auf den Plan und in die Gunst der Leyener Bürger brachte.
Denn während die bezaubernde Anna eine Bach-Fuge zum Besten gab, flackerten auf einmal die Kerzen in den Kandelabern und Wandhaltern, und ehe man es sich versah, stand eine Frau im Zimmer. Sie war seltsam blass, und ihr Haar fiel ihr über das Gesicht, doch jeder von uns dreien wusste auf der Stelle, was wir sahen. Die Leyener Oberschicht offenbar nicht. Es dauerte einen Augenblick, bis Schreie ertönten, doch da war es schon zu spät. Die Frau, deren altes, mit Schmutz beflecktes Kleid nicht in das Bild der restlichen Anwesenden passen wollte, hatte etwas wie eine dünne Schnur oder einen Draht gezogen und in Windeseile um den Hals der sitzenden Mechthild Ehlert gelegt.
Wir sprangen auf.
„Hast du Salz mit?“, schrie Hagen, aber ich schüttelte den Kopf.
Salandar war schon auf den Geist zugestürmt, um an dem Ding zu zerren, mit dem jener Frau Ehlert erdrosselte. Er war bei ihr, noch bevor jemand anderes seine Überraschung überwunden hatte und überhaupt zu irgendeiner Reaktion fähig gewesen wäre.
Er griff nach der Kehle der Kaufmannsgemahlin, doch die Geisterfrau wischte mit der Hand durch die Luft, und unser massiger Freund flog in hohem Bogen durch den Salon und landete rücklings auf dem Cembalo, das krachend nachgab.
Hagen und ich rannten los, jeder in eine andere Richtung, es musste in der Küche Salz geben, wenn wir doch nur wüssten, wo die Küche war ...
Eine hektische Suche entbrannte.
„Gefunden“, hallte Hagens Stimme durch das große Haus, während ich noch durch die Bediensteten-Wohnung hetzte. Ich machte kehrt und kam im Salon an, als Hagen bereits über das Chaos besiegter Tapferer hinwegsprang, die allesamt versucht hatten, dem Geist Einhalt zu gebieten. Doch es war zu spät. Frau Ehlert lag erdrosselt auf dem Boden, und die Geisterfrau hatte sich Anna zugewandt.
„Spiel, mein Kind!“, schnarrte ihre unmenschliche Stimme durch den Raum, aber die totenblasse Anna drückte sich nur mit dem Rücken gegen die Wand, während der in der Luft flimmernde Geist sich ihr näherte.
Eine andere Frau hatte sich dem Geist genähert. Sie hielt ein Kruzifix vor sich und murmelte Phrasen in Kirchenlatein, doch die todbringende Erscheinung ließ sich nicht davon beeindrucken.
Hagen holte mit der Faust voll Salz aus und schleuderte sie nach dem Wesen, das sich erschrocken auflöste. Hagen nahm Anna bei der Hand und zog sie hinter sich hinaus.
„Raus! Alle raus!“, brüllte ich, was sich die zu Tode erschrockenen Menschen nicht zweimal sagen ließen.
Während sich der Tumult nach draußen verlagerte, half ich Salandar aus den Trümmern des Cembalos. Er stöhnte.
„Alles in Ordnung?“, fragte ich.
„Eine Menge blaue Flecken“, gab er zurück. Er schien also nicht ernsthaft verletzt zu sein.
Graf Thaddäus indes versuchte mit dem wildgewordenen Johannes Ehlert fertig zu werden, der nicht von sich aus gehen wollte. Der Graf – dem ich seine Tapferkeit angesichts der Situation hoch
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