Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
in den Menschen gesetzt hatte, als er ihn schuf.
Er hatte alles, was er begehrte. Er und seine hübsche Frau ... die Schlampe. Hatte sie ihn doch nicht wegen seiner Wesenszüge, seiner Zärtlichkeit oder gar seines Äußeren geheiratet. Nein, nur des Geldes wegen, der Macht wegen, die er besaß, des Einflusses wegen, der sich bis an die Höfe der adeligen Welt erstreckte.
Gewiss, es war ein stiller, aber vorzüglicher Handel gewesen, sie zu heiraten. Sie bekam nahezu alles, das das raffgierige Herz einer Frau begehren konnte. Schmuck, Kleider, die Teilnahme an höfischen Konzerten und Bällen. Der Geigenbauer hingegen hatte ein Objekt der Begierde gewonnen, etwas, das durch willige Hingabe einen harten Arbeitstag in der Werkstatt ausglich.
Selbstverständlich war er ihr untreu, warum auch nicht, sie war schließlich sein Eigentum. Sie liebte nicht ihn, sondern nur sein Geld. Folglich sollte es ihr egal sein, mit wem er Umgang pflegte. Stattdessen sollte sie tun, was eine Ehefrau zu tun hatte, und sei es nur, ihren ehelichen Pflichten im Bette nachzukommen.
Doch schließlich kam der Tag, an dem sie aufbegehrte, an dem sie verkannte, wie die Dinge liefen, an dem sie sich als seine Besitzerin zu enthüllen versuchte: Sie verweigerte sich ihm.
Zuerst hielt er es für eine Laune, der man einmal nachgeben konnte. Doch diese Laune breitete sich aus, ergriff von ihr Besitz. Sie sprach nicht mehr mit ihm, sie sah ihn nicht einmal mehr an. Sie wollte fortan in einem anderen Zimmer schlafen.
Sie hatte die Situation verkannt.
Eigentum war Eigentum. Wer dafür gearbeitet hatte, dem gebührte es, und so half ihr alles Kratzen und Wehren nicht. Sie hatte ihre Lage zu spät erkannt ... und sie hätte sie erkennen sollen, ehe sie geheiratet hatte. Doch mit dem Eheschluss hatte sie den Vertrag besiegelt: Das Leben, das sie führte, im Tausch gegen ihre Seele.
Ein Pakt funktionierte nun einmal seit jeher so.
Später in dieser Nacht packte sie ihren Koffer und wollte sich auf dem Weg zu ihrer Schwägerin machen.
Doch Eigentum war Eigentum. Wer es besaß, bestimmte über dessen Sinn, Zweck und Verbleib.
Er sperrte sie ein, viele Tage lang, und zwang sie zu allem, was er guthieß. Essen wurde ihr gewaltsam eingeflößt, wenn sie sich weigerte. Seine Lust befriedigte er, wann er es wollte und für richtig erachtete. Sie hielt sich tapfer all die Zeit, doch er brach ihren eisernen Willen.
Immer wieder.
Den letzten glimmenden Funken ihrer Würde aber erhielt sie sich, sodass sie an einem verregneten, stürmischen Abend einen Satz machte, ihn zur Seite stieß und zu flüchten versuchte.
So nahm das Schicksal seinen Lauf, als er schnell genug wieder auf den Beinen war und sie in seiner Werkstatt stellte.
Eigentum war Eigentum. Schon in der heiligen Schrift stand, es gebe verderbte Saat, die der Herr auszurotten gedächte. So überhörte der Geigenbauer geflissentlich das verzweifelte Betteln der Frau, die in Tränen aufgelöst auf Knien um Gnade und Nachsicht flehte. Er nahm die neue Saite einer Geige zur Hand. Später würde jemand darauf spielen, doch zunächst diente sie einem anderen Zweck ...
2.
Es war einer der Tage, an denen einem alles über den Kopf wuchs. Solche Tage hat es immer gegeben, und es wird sie weiterhin geben. In unregelmäßigen Abständen scheinen die Dinge, über die man nachzudenken hat, plötzlich an monströsem Wachstum zu erkranken.
Wir hatten nichts erreicht. Zwei Wochen lang hatten wir uns durch Leyen gefragt. Dort, wo man uns wegen unseres missverständlichen Ausrutschers am Sonntag zuvor nicht ohnehin gleich die Tür vor der Nase zuschlug, wusste man uns nicht zu helfen oder beklagte sich über Missstände, an denen wir nun weiß Gott nicht Schuld hatten.
Die Leute im Ort munkelten unter- und gegeneinander. Familie Finke lästerte über Familie Claussen, die wiederum etwas am Lehrer Wieland auszusetzen hatte.
Was den Unmut der Leute so schürte, blieb mir schleierhaft. Wenn es nicht direkt mit den Morden zu tun hatte, wollte ich es ehrlich gesagt auch gar nicht wissen.
So klapperten Hagen und ich Haustür um Haustür ab, während Salandar beschlossen hatte, sich lieber hilfesuchend in einem Stapel Bücher und in seinen Aufzeichnungen zu vergraben. Es war eine ärgerliche Zeit. Der arme verliebte Hagen litt zusätzlich darunter, dass ihn die Grafentochter nicht einmal mehr mit ihrem – zugegebenermaßen wirklich süßen und begehrenswerten – Gesäß ansah. Er tat mir ein wenig leid, aber
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