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Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Titel: Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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von der Mühle zu uns herunter schallte.
    Die Mühle selbst wirkte bedrückend und gespenstisch auf jeden, der sich ihr näherte. Es hatte beinahe den Anschein, als ginge der Sturm von den skeletthaften Flügeln aus, die den Wind mit großer Geschwindigkeit ins Tal beförderten. Alles ächzte, und über dem Ächzen schwebte das wirre Akkordeonspiel von ... ja, von wem eigentlich?
    Erst langsam erkannten wir, wer das Aerophon bediente. Es war ein Mann mit Müllerkappe und zerzaustem Vollbart. Falten zierten nebst einer Knollnase sein Gesicht. Er saß mitten im strömenden Regen auf einer Bank an der Außenseite des Gebäudes und schwelgte in seinen misstönenden Klängen. Seine Erscheinung mutete sonderbar an, denn eigentlich hätte das schwache Licht einer Petroleumfunzel, das aus dem Mühleninneren drang – der Müller war mehr als offensichtlich Hals über Kopf getürmt – nicht ausreichen dürfen, den Akkordeonisten derart klar und in allen Farben erscheinen zu lassen.
    „Wer sind Sie?“, fragte ich, als wir in Hörweite waren.
    „Der Müller. Wer denn sonst?“, schnarrte der Musizierende belustigt.
    Es war eine rhetorische Frage, als mangle es mir an Geisteskraft, diesen Umstand zweifelsfrei auszumachen.
    „Warum sind Sie hier?“, brachte es Salandar auf den Punkt.
    „Ah“, machte der Geistermüller. „Die Musik und der Sturm. Sie bedingen einander.“
    „Es scheint fast so“, gab ich zu, während ich die knarzenden Flügel der Mühle über uns schwingen sah. Viel zu schnell waren sie, das Holz stöhnte fast unter der Last. „Aber was hat Sie gerufen?“
    „Die Musik“, behauptete der Müller. „Die Musik hat mich gerufen.“
    Maria Regener trat neben uns. Doch im Gegensatz zu meinen Erwartungen wirkte sie gefasst und zielte mit der Armbrust auf den Geist.
    „Was wollen Sie denn damit?“, fragte dieser, ohne jedoch einmal mit dem Spielen aufzuhören.
    „Nicht!“, rief Hagen noch, doch sie hatte bereits den Abzug betätigt.
    Säuselnd schlug der Bolzen im Holz der Mühle ein, geradewegs durch die Schulter des Müllers hindurch. Dieser ließ ein Zischen und eine ruckartige Bewegung folgen, infolge derer er das Akkordeon versehentlich fallen ließ. Scheppernd erstarb die Musik, während sich der Müller erhob und seine Erscheinung von dem Bolzen entfernte.
    „Was tun Sie?“, fauchte er.
    „Sie haben den Bolzen in Salz getaucht“, stellte Salandar anerkennend fest. Die Jägerin nickte und spannte derweil die Sehne erneut.
    „Lassen Sie mich doch in Ruhe!“, keifte uns der Geist des Müllers an, und ich verspürte einen Anflug von Mitleid. Schließlich hatte der Geist uns an sich gar nichts getan ... warum sollten wir ihm also etwas tun?
    Frau Regener sah dies anders, sie legte an, und ich streckte geistesgegenwärtig meinen Arm aus, packte die Armbrust und verriss die Schussbahn. Der Bolzen sauste in die Nacht davon.
    Sie reagierte wie eine Rachegöttin.
    „Was soll das?“, rief sie.
    Doch statt ihr zu antworten, blickte ich nach oben, dorthin, wo just in diesem Moment ein gewaltiges Krachen zu hören war.
    Einer der unbespannten Mühlenflügel riss infolge seiner unnatürlichen Beanspruchung durch Wind und Geist ab und raste unkontrollierbar dem Erdboden entgegen.
    Ich sprang zur Seite und riss die Frau mit, nur, um dem tödlichen Holz um Haaresbreite zu entgehen, während es neben uns krachend auf der feuchten Wiese aufschlug und zersplitterte.
    „Nein, nein“, heulte der Müller. Doch durch die Unwucht schlingerte das gesamte Konstrukt der Mühle. Zwei weitere Flügel rissen ab und flogen davon. Zu unserem Glück in andere Richtungen als die unsrige. Schließlich brach die Achse, an der der verbliebene Flügel hing, und eben jener bohrte sich in die Außenwand des Gebäudes.
    Ich lag keuchend im Gras, halb aufgesetzt, Maria Regener neben mir. Ihre Entrüstung war verflogen, ungläubig blickte sie durch ihre regennassen, schwarzen Strähnen auf das Geschehen.
    Der gespenstische Müller schlug verzagt und niedergeschlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Der Sturm ließ langsam, aber konstant nach.
    „Ich denke, damit hätte sich der Sturm erledigt“, stellte Salandar fest, während auch er sich hochrappelte.
    Hagen war in die Mühle gestürmt und kam mit der flackernden Petroleumlampe wieder.
    „Was haltet ihr davon, wenn wir das Ganze drinnen besprechen?“
    „Nein“, weinte der Müller. „Bitte, lasst mich in Frieden, ihr habt schon genug angerichtet.“
    Hagen wollte etwas

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