Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Titel: Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
Vom Netzwerk:
beziehen.
    Bei der nächsten Karte sog Salandar geräuschvoll die Luft ein.
    Ihre Vorderseite war schwärzer als Kohle. Vollkommene Dunkelheit, gebannt auf eine Spielkarte.
    „Was ist das für eine Karte?“, fragte er.
    „Die Nacht.“
    „Die Nacht?“
    „Eine Karte, die es nicht in jedes Kartendeck geschafft hat. Doch diejenigen unter uns, die eine von ihnen besitzen, dürfen sich um ihrer bereichernden seherischen Fähigkeiten Willen glücklich schätzen ...“
    Ich sah die Roma scheel an, dann fiel mein Blick auf die Karte, und ich betrachtete sie eingehender.
    Etwas Unwirkliches schien von ihr auszugehen, beinahe als stanze die vollkommene Schwärze auf ihrer Oberfläche ein Loch in diese Welt.
    „Die Nacht ist das Universum“, legte unsere Gastgeberin die Karte aus, „und in dieser Position nimmt sie diese Funktion in gewissem Sinne gleich doppelt ein. Die Lage ist ungewiss, wie von einem dunklen Schleier verborgen.“
    Lang, lang lebe die Nacht!
    Noch während sie sprach, legte sie die Karte des Äons auf den Tisch.
    „Rückblickend scheint die Situation eine Erlösung zu sein“, murmelte sie, während sie die Karte richtig herum drehte und auf die Zwei der Stäbe legte, um daraufhin die letzte Karte aufzudecken.
    „Die Zwei der Kelche“, stellte sie offenbar ein wenig verblüfft fest. „Verständnis, Einheit, Liebe ... Ich darf deine Frage nicht kennen, aber es verwundert mich stark, wie dieses langfristige Zeichen in ein derart düsteres Deck passen will ...“
    Vor uns lag ein Kreuz aus zehn Karten. Zwei in der Mitte und je zwei in jeder Himmelsrichtung.
    Salandar schien noch eine Weile darüber zu grübeln, bevor er die Roma entlohnte und wir uns von dannen machten.
    Es war verblüffend, verstörend, deprimierend … und eine Reihe weiterer Empfindungen.
    „Sind wir jetzt schon so weit, uns von zweitklassigen Scharlataninnen helfen zu lassen?“, schimpfte ich, als wir gerade außer Hörweite waren. Aber Salandar winkte ab.
    „Es ist nie falsch, die Lage von einer anderen Seite zu reflektieren. Tarot ist eine Meditation. Es hilft, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten.“
    „Aha, und? Hat es was gebracht?“
    Salandar sah geistesabwesend drein.
    „Marius?“, fragte er.
    „Ja?“, schnurrte der, eine Spur von Abneigung gegen Salandar in der Stimme.
    „Ich möchte, dass du herausfindest, wen die Roma besucht.“
    „Das weiß ich längst.“
    Dieser Kater war einmalig. Einmalig frech, einmalig unverschämt, aber auch einmalig interessant.
    „So?“, fragte Salandar, nachdem Marius, statt eine Antwort zu geben, begonnen hatte, sich die Pfote zu lecken und vermeintlichen Dreck hinter seinen Ohren wegzuputzen.
    „Mathilda Hauser. Sie ist eine alte, sehr wunderliche Frau – ich glaube, sie war mal Hebamme.“
    „Aber du weißt nicht, was sie dort will?“
    „Nein.“
    „Würdest du es für uns herausfinden?“
    Marius hörte auf, sich zu putzen und blinzelte Salandar an. „Ist das eine Bitte?“
    Salandar blinzelte zurück und verdrehte hilfesuchend die Augen. „Ja, verflucht noch mal. Willst du mitschreiben? Ach nein, ich vergaß, das liegt außerhalb deines anatomischen Vermögens. Also: Lieber Marius, würdest du mir bitte den Gefallen tun – solange es denn keine Umstände macht – und dich ein wenig bei den beiden Damen umhören?“
    „Pah“, machte Marius abfällig.
    „Tu’s einfach!“, drängte ich ihn.
    Marius hielt eine Sekunde lang meinem flehentlichen Blick stand, dann besann er sich offenbar auf das Sprichwort vom Klügeren, der nachgibt. Er drehte sich um und stolzierte die Straße entlang in Richtung von Frau Hausers Hütte.
    Ein paar Sekunden blickte ich ihm nach, dann wandte ich mich Salandar zu.
    „Was war deine Frage an das Kartenspiel?“, wollte ich wissen.
    Doch Salandar seufzte bloß.
    „Wahrscheinlich dieselbe wie die deinige, teurer Freund.“
    5.
    Die Welt wurde ein Rätsel – und das leider immer mehr.
    Es war spät. Wir hatten Anna von Eulenbachs Selbstbewusstsein wieder auf Vordermann gebracht, indem wir sie gebeten hatten, uns doch mit ihrer musikalischen Virtuosität zu beglücken. Die junge, hochintelligente Frau hatte ihrer Violine zusehends misstrauischer gegenüber gestanden, und Hagen hielt es für Verschwendung, wenn sie keinen Gebrauch von ihrem Talent machte. Graf Thaddäus war derselben Meinung gewesen, und so hatten wir uns zusammen mit der Dienerschaft ein kleines Privatkonzert der außergewöhnlichen, aber seit dem

Weitere Kostenlose Bücher