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Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Titel: Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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verstehen. Magier, die Schutz vor bösen Geistern gewähren, werden umgebracht. Schriften, die zu helfen imstande sind, werden stapelweise dem Feuer übergeben.
    Was hätten wir davon, wenn wir diese Feen vertrieben? Grimmige Zufriedenheit in der Seele? Befriedigten Hass, stellvertretend für unser eigenes Unverständnis? Was haben diese geisterhaften Kinder uns getan, dass sie ihre Existenz nicht mehr verdienen?“
    Maria schnaubte. Als wir zurückblickten, dorthin, wo die Kinder des Sonnenaufgangs getanzt hatten, merkten wir, dass die Melodie verstummt war.
    „Immerhin hast du ihnen die Stimmung verdorben“, meinte ich, „und das als Jägerin, die die Natur zu verstehen sich auf die Fahnen geschrieben hat. Würdest du ein Kitz aufschrecken, das von seiner Mutter gesäugt wird?“
    Ruckartig stand sie auf, legte Mantel und Büchse wieder um und stiefelte davon.
    Ich hatte Mühe, hinterherzukommen.
    Menschen!
    Warum waren wir immer so voreingenommen? Warum hassten wir das, was wir kaum kannten, ohne nach Gut und Böse zu fragen?
    „Glaubst du an Gott?“, fragte ich, als ich sie eingeholt hatte.
    „Warum fragst du?“
    „Nun“, überlegte ich. „Müssten wir nicht einen Gott genau so jagen wie Hexen und Geister? Ist er nicht auch etwas, das wir nicht fassen können, dessen Beweggründe wir nicht verstehen und bisweilen nicht einmal akzeptieren oder einsehen können?“
    Doch Maria gab keine Antwort.
    Jetzt nicht und den ganzen Rückweg nicht.
    Sie sprach noch nicht einmal mit mir, als ich mich verabschiedete, um für ein spätes Frühstück zum Landsitz des Grafen zurückzukehren und mich dem Spott meiner Freunde auszusetzen, da ich doch alleine mit einer Frau im Wald verschwunden war ...

K apitel 6

    Noch ein Mord
    1.
    N icht alles war Gold, was glänzte.
    Dass die Wirbel der Geige nicht aus Elfenbein waren, dazu bedurfte es keines fachkundigen Blickes.
    Die schöne Anna mit ihrem ernsthaften Gesicht und ihrem glänzend schwarzen Haar, das immerzu in einem leichten Sommerwind über ihre weißen Kleider zu wehen schien, konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, zu welchem Zweck jemand aus Menschenknochen Wirbel für eine Geige machen sollte.
    Natürlich war Hagen auf ihrer Seite.
    Der verliebte Narr!
    Ich konnte seine Neigung durchaus verstehen. Wäre nur dieses ständige Diskutieren in Endlosschleifen nicht gewesen ...
    Ja, es könne tatsächlich sein, dass es sich um Menschenknochen handle, es könne aber auch sein, dass es sich um anderes Knochenmaterial oder etwas völlig anderes handle.
    All das Gerede, nur um die Grafentochter nicht vor den Kopf zu stoßen.
    „Wo haben Sie das Instrument überhaupt her?“, unterband ich schließlich das lästige Für und Wider.
    „Meine Großmutter hat das gute Stück vor vielen Jahren anfertigen lassen. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, müssen Sie Fechner fragen. Er ist einer der begnadetsten Instrumentenbauer hier in der Gegend.“
    Nachdenklich schürzte ich die Lippen. Mein Argwohn hinsichtlich der Zustände der hiesigen Gesellschaft wuchs allmählich ins Unermessliche. Selbst bei der ach so unschuldigen Grafentochter tat ich mich langsam schwer, ihr vollends über den Weg zu trauen.
    Ich überlegte: Warum traute ich dem Grafen? Nur, weil er der Geld- und Gastgeber unserer wirren Operation hier war? War das nun jetzt noch gesunde Berufsparanoia, oder musste ich mir langsam ernsthaft Sorgen um meinen Gesundheitszustand machen?
    Ich beschloss, die Infragestellung des Grafen noch eine Weile zu verschieben und erkundigte mich stattdessen nach diesem Herrn Fechner.
    Anna beschrieb uns den Weg, und wir machten uns auf mein Drängen hin schleunigst auf den selbigen.
    „Hast du noch alle beieinander?“, fuhr ich Hagen an, als wir den Vorhof des Landsitzes verlassen hatten, und schlug ihm auf den Hinterkopf, wie man es mit einem unartigen Bengel macht.
    „He“, beschwerte dieser sich.
    „Hör auf, Anna schöne Augen zu machen!“
    „Aber ...“
    „Ich bin nicht blind und nicht blöd“, setzte ich meinen Wortschwall fort. „Was denkst du dir eigentlich dabei? Was rechnest du dir aus? Du bist in ihren Augen ein Trottel aus der Unterschicht, genau wie ich.“
    „Das stimmt nicht!“, konterte Hagen.
    Ah. Daher wehte der Wind. Ich blieb stehen.
    „Jetzt hör mir mal gut zu! Auch wenn du eventuell formell noch dazu in der Lage wärst, Anna von Eulenbach aus ihrem Elfenbeinturm zu entführen: Untersteh dich! Was glaubst du, was der Graf mit dir anstellt,

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