Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
als er noch nicht so durchgefroren war.“
„Gut, aber holen Sie dem Mann doch einen heißen Grog“, bat ich den Butler, „und zwar – aller dienerlichen Korrektheit zum Trotz – bevor er erfroren ist!“
Ohne ein weiteres Wort machte Caspar sich davon.
„Hagen, besorg unserem Müller doch bitte mal eine Decke oder am besten gleich zwei oder drei!“, forderte ich Hagen auf, während ich den völlig versteiften Roth langsam dazu brachte, sich auf eine Holztruhe zu setzen.
Nachdem wir den ganz und gar nicht wettertauglichen Aufzug des Mannes gegen ein paar Decken getauscht und seiner Stimme durch etwas Wärme wieder so viel Substanz verliehen hatten, dass er sprechen konnte, berichtete er von seiner Geschichte.
„Vergangene Nacht hatte ich das merkwürdige Erlebnis, dass sich die Mühle drehte, ohne überhaupt mit Segeln bespannt zu sein. Ich hatte sie nicht aufgezogen wegen des Sturms. Doch diese Nacht war es wesentlich schlimmer. Ich konnte sie nicht bremsen, denn irgendwie schienen die Achsen miteinander verhakt zu sein. Dann erschien dieser Irre. Ich habe zuvor nicht an Geister geglaubt, aber jetzt tue ich es. Ganz gewiss. Nachdem man über eine Spukgestalt gemunkelt hatte, die im Kaufmannshaus Ehlert gewütet haben soll, hat sich das niedrige Volk so seine Späße erlaubt, müssen Sie wissen. Aber jetzt … ich weiß nicht, was ich sagen soll. Da war dieser irre, zerlumpte Kerl, der ein Akkordeon schwang und sang wie ein Verrückter. Dabei faselte er die ganze Zeit etwas von der Mühle und dem Sturm und … ach … es ist schon schwer.“
Gebannt lauschten wir der Erzählung Roths, tauschten nur stumme Blicke aus. Schnell jedoch beschlossen wir, der Sache auf den Grund zu gehen. Jeder von uns rührte sich im Kopf sein eigenes Süppchen aus Seltsamkeiten und den sich daraus ergebenden Fragen zusammen.
Wir zogen dicke Lodenmäntel und schwere Stiefel an. Selbst Salandar sah von seinem sonst so extravaganten Kleidungsstil ab und wählte einen entsprechend praktischen. Dann ließen wir uns den Weg zur Mühle erklären, wiesen Caspar an, doch bitte auf unsere Rückkehr zu warten, und traten hinaus in den widerlichen Herbststurm.
Es war kalt, nass und windig. Der Regen kam in Myriaden kleiner Tropfen vom Himmel und drang uns in Kragen und Ärmel und in jede Ritze und jeden Spalt, den die Kleidung ihm bot.
Die Mühle des Herrn Roth lag eine halbe Stunde Fußmarsch auf der anderen Seite des Städtchens, und so gingen wir in den Windschatten der Häuser gedrängt die Alte Straße hinab, vorbei am Friedhof, bis wir schließlich die befestigten Straßen und Wege verlassen mussten und uns über eine sumpfige Wiese den Hügel zum Waldrand hinauf kämpften, auf dem sich die Mühle mit unbespannten Flügeln gespenstisch im tosenden Sturm drehte.
Sie drehte und drehte und drehte sich, gab sich als beinahe völlig wild gewordene Apparatur.
„He!“, rief auf einmal eine Stimme, und unwillkürlich musste ich blinzelnd durch den Regen zur Seite schauen.
Maria Regener mit dem wilden, schwarzen Haar.
Auch das noch!
Immerhin konnte sie uns bei diesem Wetter nicht bedrohen. Das Pulver wäre gewiss mehr als nur nass geworden. Doch dann erkannte ich, dass sie sich hervorragend über diesen Umstand hinwegzuhelfen vermochte. Sie trug eine gespannte Armbrust in den klammen Händen.
Na, hervorragend.
Schlecht für uns, denn wir würden uns erklären müssen – und unsere gegenseitigen Sympathien waren seit unserer letzten Begegnung nicht gerade gewachsen.
Ihre Augen funkelten in der Überzeugung, dass wir irgendwas im Schilde führen mussten.
„Wir sind auf dem Weg zu Mühle“, versuchte Salandar ihr zu erklären.
„Wozu?“
Diese Frau!
Wenn es an diesem Ort jemanden gab, der den Argwohn für sich gepachtet hatte, dann sie.
„Das würden Sie uns ohnehin nicht glauben“, funkte Hagen kurz angebunden dazwischen, aber Salandar stieß ihn mit der flachen Hand vor die Schulter, sodass er Halt suchend mit den Armen rudern musste, um nicht auf die schlammige Wiese zu fallen.
„Kommen Sie doch mit!“, schlug Salandar vor. „Ich schwöre Ihnen, wir werden nichts anfassen, das wir nicht anfassen sollten.“
Maria Regener rümpfte die Nase und wies uns mit einer knappen Bewegung der Armbrust an weiterzulaufen.
So trieb sie uns fast wie Gefangene, jedoch in sicherem Abstand, den Hügel zur Mühle hinauf.
Nicht sonderlich auf diesen Umstand achtend interessierte ich mich viel mehr für die aberwitzige Musik, die
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