Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
Menschen, das die Philosophen noch nicht totgeredet hatten?
Nach Waterloo folgte ein Jahr des Rausches für alle Verfechter der arkanen Künste. Hochkonjunktur war angesagt, man scheute sich viel weniger, angeblichen und aufrichtigen Wundertätern Glauben zu schenken, als zuvor. Immerhin waren sie indirekt die Befreier Europas.
Doch dieses farbenfrohe Spektakel hielt nur für eine Weile, denn dann brach das Jahr ohne Sommer über uns herein. 1816 wurde es niemals richtig warm. Mai, Juni, Juli und August brachten statt Sonne und reifer Ernten nur Grau. Wochenlange Regen-, teils sogar Schneefälle, Ernteausfälle und eine für einen Sommer beträchtliche Kühle schwebten über der Welt, die gerade ihre ersten Gehversuche mit einem von Frankreich befreiten politischen System machte. Wirtschaftlich war das erste Jahr nach dem Wiener Kongress ein Desaster.
So sprangen Kirche und Klerus aller Herren Länder wieder auf die Barrikaden und gerieten in den Fokus der Menschen. Sie gewährten Zuflucht, boten Hilfe und hatten vor allem einen Schuldigen zu präsentieren: Magie und Hexenwerk, dem die Menschen der Welt so viel Vertrauen entgegengebracht hatten in der letzten Zeit. So gerieten die magischen Seiten des Lebens erneut ins Hintertreffen, missachtet und gedemütigt.
Doch so sehr Salandar und ich alles Magische bewunderten und eine hohe Meinung von allem hatten, das den Menschen von Nutzen sein konnte, so waren wir jedoch quasi vom Wetter in den perfekten Arbeitsmarkt katapultiert worden. Wir hatten Ahnung, kannten Lösungen und hatten Erfolg auf einem Gebiet, das nur ein Bruchteil aller Menschen jemals betrat. Die goldenen Zeiten unserer eigenen Bereicherung hatten begonnen.
Eines schönen Tages – nein, ich lüge, es war ein grässlicher Tag –, trafen wir auf einer Brücke einen jungen Mann, der ebenso mutig wie verzweifelt und darüber hinaus auch noch ausnehmend begabt war: Hagen.
Es war Nacht, und es regnete in Strömen, als sich ein tapferer junger Mann im schwachen Schein der Laternen eines verwaisten Wachhauses ein tödliches Stelldichein mit einem Ifrit lieferte.
Salandar und ich hatten die Tage zuvor an der Mosel zu tun gehabt, als man uns anbot, uns für die Vertreibung eines Poltergeistes zu entlohnen. Letztlich jedoch war es kein Poltergeist, sondern ein beschworener Ifrit, der einzig und allein einem Zwecke diente: das Geschlecht der Familie zur Mark auszulöschen. Nachdem es offensichtlich versteckte Abkömmlinge der Familie gegeben hatte, waren sie auf diesem Wege nach und nach alle beseitigt worden. Bis auf Hagen, der verzweifelt versuchte, den Tod seiner Geschwister zu rächen, ohne sich bewusst zu sein, dass der Ifrit im eigentlichen Sinne gar nichts dafür konnte.
Der junge Mann hätte seinen Kampf um ein Haar verloren, wenn wir nicht rechtzeitig mit unserer sorgfältig gehüteten, weil oft misstrauisch beäugten Ausgabe des Koran und einem mit arabischen Zeichen versehenen, ledernen Amulett angerückt wären und den Ifrit von seinem Bannfluch erlöst hätten.
Wer auch immer das Sterben der Familie zur Mark in Auftrag gegeben hatte, hatte zur Ausführung jemanden ausfindig gemacht, der sein Fach verstand. Alleine auf die Idee zu kommen, einen Dschinn aus den arabischen Ländern zu beschwören, war schon gerissen. Wir hatten Glück, dass wir den Koran und das Amulett in unseren Bestand von Mitteln zur Geisterbekämpfung eingebracht hatten. Als wäre es eine Vorahnung gewesen.
Seitdem hofften Salandar und ich insgeheim, der Beschwörer des Ifrits habe aus dem Ende seiner Beschwörung den Schluss gezogen, dass der Auftrag wohl nun erfüllt sein müsse. Hagen hatten wir in die Restbefürchtung, der Ifrit könne einst zurückkehren – oder vielleicht auch etwas Schlimmeres –, nie eingeweiht.
Jedoch hatten wir uns des tapferen Burschen, der sich darüber hinaus auch noch zu benehmen wusste und gebildet war, angenommen, sodass wir zum Trio anwuchsen.
Mein Gedankenstrom stockte, als ich auf der Parkwiese vor der zur Hinterseite des gräflichen Anwesens gelegenen Seite einen Fuchs sah. Das Tier starrte wie besessen in Richtung des Landsitzes, und beinahe schien es, als schaue er mich durch das Fensterglas zurück an.
Ein seltsamer Gedanke, fand ich und schüttelte den Kopf. Ich schlenderte weiter durch die Gänge, als ich von oben her ein Klimpern vernahm. Ein Klavierspiel. Nicht bloß rudimentär, aber auch nicht virtuos. Außerdem war das Klavier nicht gestimmt, was wohl dafür sprach, dass
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