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Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Titel: Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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der Frauenleiche hastete.
    Um Gottes willen!
    Ich schlug die Hände vor den Mund, während Maria sich beinahe fachkundig über den Leichnam beugte.
    „Ihr Gesicht“, dachte ich. „Ihr Gesicht!“
    Das Gesicht der ehemaligen Dirne sah aus, als hätte man die Inkarnation alles Schreckhaften in die Züge einer vielleicht fünfundzwanzig Jahre alten Frau gehämmert. Der Mund und die Augenbrauen waren dermaßen grotesk verzogen, dass die Haut unter der Spannung nachgegeben hatte und die gebildeten Falten sich in blutigen Rissen fortsetzten. Selbst wer damals im Krieg aus den Folterkammern der feindlichen Gefangenenlager entkam, sah diesem vergewaltigten Gesicht nicht ähnlich. In keiner Weise!
    Die Welt schien in ihrem Herzen ein Schlachtfeld zu sein.
    Das war eine übernatürlich Todesursache, wie sie im Buche stand.
    Mein Verstand raste, beflügelt durch das, was Marius mir über die Witwe des Kaufmanns Ernst Conradi erzählt hatte. Aber konnten wir es riskieren, noch einmal in ein Haus einzubrechen? Eventuell war diese Frau trotz ihrer Verblendung noch umsichtig genug gewesen, alles belastende Material außer Haus zu schaffen. Ich wusste ja noch nicht einmal sicher, ob und was sie überhaupt beschworen oder gerufen hatte. Geschweige denn, wo sie es getan hatte und auf welche Art und Weise sie es kontrollierte.
    Ich hockte mich neben Maria und das tote Mädchen.
    Sollte das arme Mädchen wirklich vor Angst gestorben sein? Der Gesichtsausdruck ließ es beinahe vermuten. Aber was verursachte einen derartigen Schrecken? Dazu hätte ich Bücher wälzen müssen. Leichter wäre es gewesen, ein Buch mit Beschwörungsformeln oder dergleichen irgendwo zu finden. In den gängigsten kannte ich mich in etwa aus.
    Eine Kolonne von Spinnen krabbelte über meine Hand. Ich schüttelte sie reflexartig, doch ein Maunzen des Katers ließ mich hochschrecken, und ich bemerkte, dass ich offenbar nicht der Einzige war, dem die vielen Spinnen aufgefallen waren.
    Die Spinnen hasteten zielstrebig auf den leblosen Körper der jungen Dirne zu und schienen sich dort zusammenzuklumpen. Ein Haufen von Leibern, der immer höher und höher wuchs, je mehr Spinnen sich in ihm vereinigten.
    Die Schaulustigen wichen eilig und vor Erstaunen raunend zurück. Ich wollte aus der Hocke aufspringen, fiel jedoch auf meinen Allerwertesten in den Schlamm des herbstlich mit Raureif übersäten Bodens.
    Ein Körper in Form eines Menschen setzte sich dort aus unzähligen Beinchen und Körperchen zusammen und begann, mit einer Stimme zu sprechen, die klang, als würden tausend Grashalme gegeneinander scheuern.
    „Zurück!“, befahl das Wesen klickend.
    „Von wegen!“
    Ich rappelte mich auf und zog die Feldflasche mit Weihwasser aus einer Rocktasche. Doch der Angriff auf das Spinnenwesen bewirkte nichts, sondern beschwor lediglich dessen Zorn herauf.
    „Zurück, habe ich gesagt“, fuhr es mich an, und eine aus Spinnenleibern geformte Hand stieß mir flach vor die Brust, sodass ich ein Stück nach hinten katapultiert wurde und ächzend wieder im Schlamm landete. Sofort war Maria bei mir und half mir auf.
    Das Spinnenwesen jedoch kauerte sich neben den Leichnam des Mädchens und schien ihn eingehend zu betrachten. Es interessierte sich gar nicht weiter für mich.
    Das war zu viel! Hier hatte sich niemand auf so respektlose Art und Weise für meinen Fall zu interessieren.
    Ich löste einen Tabakbeutel von meinem Gürtel, der natürlich ganz und gar nicht mit Tabak gefüllt war, griff hinein und nahm ein wenig des kostbaren Inhalts in die Hand. Dann trat ich einen wagemutigen Schritt auf den Spinnenmenschen zu, sodass dieser sich in seiner Beschäftigung abermals gestört fühlte und sich anschickte, mir abermals Einhalt zu gebieten.
    Auf den Silberstaub in meiner Hand aber war er nicht vorbereitet.
    Als das Silber den aus Spinnen geformten Leib traf, zerfiel dieser einfach in ein Meer aus verwirrt durcheinander huschenden Tierchen aller Größen und Formen.
    „Halt!“, rief eine Stimme von irgendwo jenseits der gaffenden und staunenden Masse.
    Ich fuhr herum.
    Eine alte Frau trat eilig auf mich zu. Sie war ihrem sehr fortgeschrittenen Alter entsprechend klein und trug ein bräunliches, vielfach geflicktes Kleid und eine fleckige Schürze. Bevor ich allerdings die Gelegenheit hatte, ihr Äußeres noch weiter zu würdigen, bekam ich ihren Gehstock quer übers Gesicht gezogen.
    Verdutzt landete ich zum dritten Mal im Schlamm.
    Maria war so freundlich, den zu

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