Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
weiteren Prügeln erhobenen Stock mit der Hand abzufangen und mir die Möglichkeit zu bieten aufzustehen.
Die Alte schien wütend zu sein.
„Sind Sie verrückt?“, zeterte sie. „Was glauben Sie eigentlich, was mich die Beschwörung an Kraft gekostet hat?“
Ich hatte keine Ahnung, aber die Frau schien in der passenden Laune, mir gleich davon zu berichten. Wenn auch sicher etwas hitzig.
Stattdessen trat sie nach mir.
Ich rollte zur Seite und rappelte mich wieder auf.
„Es reicht“, mahnte ich und wurde angespuckt. Maria erhielt einen Tritt in den Bauch und ließ überrascht den Stock los, und ich tat das Einzige, was mir in diesem Augenblick einfiel, um eine zur Furie mutierte alte Frau auf den Boden der Tatsachen und ihres eventuell noch vorhandenen Verstandes zu holen: Ich schüttete den kompletten Inhalt meiner Feldflasche über ihr aus.
Während sie nun ihrerseits perplex und triefend dort stand, schnappte ich mir ihren Stock und hielt ihn außer Reichweite.
„Wer zum Teufel sind Sie?“, fragte ich.
Dunkle Augen starrten mich wutentbrannt an.
„Mathilda Hauser“, stellte sich die Alte in einem Tonfall vor, der ihre Umgebung eigentlich im Nu hätte gefrieren lassen müssen.
„Sie haben dieses ... Spinnending beschworen?“, hakte ich nach.
Sie nickte verdrießlich.
Ich suchte etwas, das das arachnide Wesen vielleicht beschreiben könnte, zog es dann aber vor, direkter zu sein. „Warum?“
„Weil ich diesem Spuk ein Ende bereiten will. Darum!“
„Mit noch mehr Spuk?“
„Haben Sie bessere Vorschläge, großer Geisterjäger?“
Ich stutzte.
„Na ja“, zögerte ich. „Sie hätten mit uns zusammenarbeiten können. Wenn Sie in der Lage sind, so ein Spinnenetwas zu beschwören, dann könnten Sie Ihr Wissen ja in dieser Angelegenheit eventuell ein wenig hilfreicher einbringen.“
„Papperlapapp“, wischte sie meinen Vorschlag zur Güte fort. „Sie haben nicht so viel Ahnung, wie Sie gerne glauben mögen. Warum hat Ihr fetter Freund sich dann von Martha die Karten legen lassen?“
„Ich vertraue ihm“, bekannte ich. „Wenn Salandar es für eine gute Idee hält, sich die Zukunft von einer Roma voraussagen zu lassen, dann bitte. Was ist daran falsch?“
„Es ist naiv.“
„So? Es kam mir aber eher wie etwas anderes, Tiefsinnigeres vor. Eine Art Meditation.“
„Genau deshalb sind Sie alle drei naiv!“
„Weil Sie nicht an die Macht von Karten glauben, aber gleichzeitig Tausende Spinnen zu einem menschlichen Körper formen. Pardon, aber irgendetwas stimmt da doch nicht.“
Die Alte rümpfte die Nase. „Sind Sie drei nicht in das Haus des Pastors eingebrochen, angeblich, weil Sie irgendeinen Hinweis auf eine Beschwörung gefunden haben?“
„Na ja, Hinweis würde ich es jetzt nicht nennen ...“
„Auch bei allem anderen sind Sie grandios gescheitert, oder? Weil Sie nämlich nicht erkannt haben, dass es sich bei dem Übeltäter um einen Vampir handelt.“
Ein Vampir? Konnte das die Lösung sein? Obwohl ich ehrlich gesagt nicht viel davon hielt, weil es Ärger bedeutete, sich mit einem echten Vampir einzulassen.
„Kommen Sie mit!“, befahl Mathilda Hauser und stürmte forschen Schrittes an mir vorbei zur Leiche der armen Emilia. Sie beugte sich über den Oberkörper des Mädchens und deutete auf Emilias Hals.
Tatsächlich, dort fanden sich zwei Spuren, eher Kratzer, die von Zähnen hätten stammen können. Doch sie waren in dem ohnehin aufs Grässlichste zerfurchten Antlitz des Mordopfers so geschickt verborgen, dass sie ohne Weiteres auch für blutige Ausläufer der darüber hinaus vorhandenen Verletzungen hätten gehalten werden können.
„Gut“, gab ich mich nach einiger Zeit des genauen Betrachtens geschlagen, während Maria mithilfe der Polizisten versuchte, die Schaulustigen und Gaffer zurück zur Arbeit zu treiben.
„Also?“
„Sie haben recht, das sind Bisswunden. Da ich die anderen Mordopfer nie zu Gesicht bekommen habe, denke ich aber, der Fehler ist verzeihlich. Allerdings habe ich noch nie davon gehört, dass ein Vampir seine Opfer derart zu Tode erschreckt, dass sie einen derartigen Gesichtsausdruck zurückbehalten. Ich hatte bisher immer den Eindruck, ein Vampirbiss müsse eine gewisse innige, vielleicht sogar perfide erotische Erfahrung für das Opfer sein. Dieses Mädchen hier ist einfach nur zu Tode erschreckt worden.“
Mathilda schüttelte den Kopf. „Sie ist einfach ausgetrocknet, sage ich Ihnen.“
Vorsichtig und mit einigem Ekel
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