Langenscheidt Fußball-Deutsch, Deutsch-Fußball
hatten ihre Positionen eingenommen, alles wartete gespannt auf den Beginn. Dann – ein tiefer Luftzug. Für einen kurzen Moment schienen alle den Atem anzuhalten, bevor es mit dem langgezogenen, Aufmerksamkeit einfordernden Pfeifton losging:
Aus heiterem Himmel schlug plötzlich eine Granate ein! Einige Zuschauer schrien auf, als wären sie getroffen worden, andere bejubelten voller Hohn das Elend des Gegners. Schließlich ging es hier gegen den Erzfeind! Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Erst ein kaum wahrnehmbarer Schuss, dann wurde der Gegner regelrecht unter Feuer genommen. Die Truppe um den Bomber der Nation fuhr nun einen Angriff nach dem anderen, sodass die Verteidigungslinie der gegnerischen Abwehr immer weiter zurückgedrängt wurde.
Es wurden einige Ausbrüche und Durchbrüche versucht, aber minutenlang konnte man sich nicht aus dem Belagerungszustand befreien. Mit zunehmender Dauer wurde es ein offener Fight, Mann kämpfte gegen Mann, und die lautstarken Befehlshaber (allen voran der General), die außerhalb des Feldes standen, forderten hysterisch, den Gegner noch kompromissloser zu attackieren. Auf dem Feld tobte jetzt eine wahre Schlacht. Es ging nur noch ums nackte Überleben. Der letzte Angriff der wie wild anrennenden Truppe, die noch keinen Treffer zu verzeichnen hatte, die Deckung des Gegners plötzlich nicht mehr richtig organisiert, und schon kam ein Geschoss durch – treffsicher Richtung Ziel. Aber der Teufelskerl auf der Grundlinie konnte diese Granate gerade noch mit einem Husarenstreich entschärfen. Er war der Held dieses erbitterten Kampfes gegen eine Elite aus lauter Legionären. Noch lange nachdem der Schiedsrichter das Duell der beiden fußballerischen Großmächte beendet hatte, hallten die Gesänge der Schlachtenbummler über das teilweise zerstörte Feld.
Der Lärm der letzten Stunden verzog sich langsam mit dem nachlassenden Abendwind, und die Sonne tauchte endgültig hinter das umspannende Tribünendach ab. Zurück blieben ein beinahe stehendes, leicht abgekühltes Luftgemisch aus Schweiß-, Rasen- und Erdduft und die Ahnung eines langsam entschwindenden historischen Augenblicks. Es muss ein ganz großartiger Tag gewesen sein – so die Vermutung des zu späten Ankömmlings.
Es sind die großen, nicht selten historischen Vergleiche, die den Sport über sich selbst erheben. Verbale Extremitäten, die aus einem unterhaltsamen Fußballspiel mit Toren, viel Bewegung und so mancher guten Idee eine kriegerische Auseinandersetzung machen. Spieler und Funktionäre mutieren sinnbildlich zu uniformierten Militärs. Spiele werden nicht gewonnen, sondern Schlachten geschlagen. Die Heroen kommen in die Ahnengalerie. Die martialische Sprache macht aus dem sportlichen Miteinander ein emotional aufgeheiztes Gegeneinander. Eine künstliche Hochstilisierung, die qualitativ guter Sport gar nicht nötig hat. Ein Kriegsjargon, der zu Recht immer wieder in der Kritik steht, wenn er extrem und einseitig angewendet wird. Was so möchtegernsubtil daherkommt, Eloquenz suggerierend, ist in Wirklichkeit nur Ausdruck einer verbalen Einfallslosigkeit. Es ist der einfachste Weg, denn bei Ausdrücken wie Granate, Bomber, Schuss, Truppe etc. hat jeder sofort eine Assoziation parat. Offensichtlich versteht manch einer doch mehr von Kriegen als von Fußball – ein lohnendes Ziel, dies zu ändern!
SCHLAUE SPRÜCHE
„Wir haben derzeit keine Waffengleichheit.“ (Karl-Heinz Rummenigge, Januar 2001 über die unterschiedlichen finanziellen Handlungsspielräume zwischen deutschen und südeuropäischen Clubs.)
„Kahn akzeptiert, jedoch mit einem Knirschen der Zähne, das von Leipzig bis Fröttmaning zu hören ist.“ Matti Lieske (taz 29.6.2005) über die Torwartrotation in der Nationalmannschaft
Fußball und Kunst
FUSSBALL UND KUNST
Fußball kann selbst Kunst sein – man spricht nicht grundlos vom „Dribbelkünstler“ oder vom „Kunstschuss“. Als Kommentator preist man mitunter die „hohe Fußballkunst“, die auf dem Rasen zelebriert wird. Hier soll von der bildenden Kunst die Rede sein, in dem Sinne, dass sie Fußball zum Gegenstand nimmt, ihn künstlerisch darstellt und interpretiert.
In den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts entdeckten Bildhauer wie Renée Sintenis den Fußball spielenden Körper als Motiv der plastischen Kunst. Jüngstes Beispiel – wenn auch reduziert auf das Wesentliche – ist die Plastik von Uwe Seelers rechtem Fuß, die im Eingangsbereich der Hamburger AOL-Arena
Weitere Kostenlose Bücher