Langenscheidts Handbuch zum Glück (German Edition)
absoluter Freiheit und Spontaneität. Die meisten Menschen sind ohnehin überfordert, nimmt man ihnen alle Strukturen und Pflichten des Alltags und entlässt sie ganz und gar in die Freiheit der spontanen Lust und Laune. Manche fallen in tiefe Motivationslöcher, manche werden krank, manche sind zutiefst verunsichert. Man mag gerne klagen über all das Vorgegebene im Leben, fehlt es aber plötzlich (verstirbt zum Beispiel der Angehörige, den man jahrelang liebevoll pflegt), merkt man oft erst, wie wichtig es einem war.
So, das musste ich einfach mal loswerden. Und jetzt können wir uns dem Stück Wahrheitsgehalt in der erwähnten Forderung zuwenden. Natürlich stimmt es, dass sich viele Menschen so viele Sorgen um die Zukunft machen und so sehr immer nur ans Morgen denken, dass sie das Heute vergessen. Und was nützt alle Planung und Vorsorge, wenn wir unser Glück hier und heute übersehen? Wir brauchen nur Kleinkinder zu beobachten. Sie leben ausschließlich im Moment. Jetzt, und zwar sofort, wollen sie das Stück Schokolade, das sie gerade sehen. Und genauso die Sandschaufel und den Apfelsaft, und dann bitte auf Mamas Schoß, und dann ist die Windel voll und soll sofort gewechselt werden und und und. Es ist schön und anstrengend zugleich. Nichts kann in dieser Welt aufgeschoben werden. Immer herrscht Klarheit darüber, was man will und was nicht.
Das geht in den Jahren der Erziehung verschütt. Man lernt, auf Dinge zu verzichten oder Alternativen in Betracht zu ziehen und die Erfüllung von Wünschen zurückzustellen. Man lernt, zwischen Gegenwart und Zukunft zu jonglieren.
Wir sollten in diesem Prozess die Lust an der Gegenwart nicht verlieren. Hier und heute ist mein Glück oder Unglück. Nehmen wir es an, gestalten und genießen wir es, seien wir dafür dankbar! Hören wir in uns hinein, was uns guttut und was nicht! Gönnen wir uns etwas! Kultivieren wir unsere Vorlieben und kleinen Leidenschaften! Leben wir ganz dem Moment und den Momenten. Wagen wir es, unsere kleinen und großen Träume auszuleben! Seien wir offen für die Geschenke des Alltags! Wir haben es uns verdient mit all der Planung und Vorsorge und Hilfe. Und wir wissen nie, was kommt (vielleicht ist morgen ja wirklich der letzte Tag, auch wenn das eher unwahrscheinlich ist).
Seien wir immer wieder wie Frischverliebte. Ihnen ist herzlich egal, was die Umwelt denkt. Sie nehmen sich, was sie brauchen, und leben ihre Leidenschaft. Sie fahren in der Nacht an den Strand und bestellen um drei Uhr nachts Pizza. Sie baden in Rosenblättern und bepinseln sich mit Schokolade. Sie tanzen die Nacht durch und schlafen am Vormittag. Sie machen Telekommunikationsfirmen und Reisekonzerne reich, da sie sich hundertsiebenundfünfzig SMS pro Tag schicken und für eine gemeinsame Nacht nach Marseille oder Moskau reisen.
Die meisten unheilbar Kranken in Krebsstationen oder Hospizen wünschen sich, sie hätten neben aller Pflichterfüllung mehr von solcher Verrücktheit ausgelebt. Sie ist Glück pur, direkt in unserer Hand und nicht an irgendwelche Zeitpläne oder Bedingungen gebunden.
Das Leben ist so zerbrechlich. Es ist Geschenk und reinste Gnade, dass wir es bewusst erleben und genießen dürfen. Wir entstehen aus dem Nichts und verschwinden wieder. Dazwischen blüht ein Leben auf, das wir mit allen Sinnen wahrnehmen und genau so gestalten sollten, wie es richtig für uns ist. Grenzen werden uns von vielen Seiten gezogen, da sollten wir nicht auch noch selbst dazu beitragen.
Kristallklar wird das immer in jenen Situationen, wo alles zu stimmen und die Zeit anzuhalten scheint. In Biergärten zum Beispiel, wenn alle zufrieden reden, trinken, essen, lachen, schweigen, einfach die Atmosphäre genießen. Wenn das Licht der untergehenden Sonne durch die Kastanien fällt und das Bier in den Krügen golden erscheinen lässt.
Oder in Schwimmbädern. Wo Mütter Kinder in Handtücher wickeln und ganz fest halten. Wo Väter mit unendlicher Geduld, viel Liebe und ein wenig Bewunderung bei den ewigen Sprungversuchen ihrer Kleinen zuschauen und Tipps geben. Wo sich die Älteren erinnern an die Schaumwaffeln, die es schon früher gab, und selbst den Chlorgeruch nostalgisch verklären. Wo es noch Ahoibrause gibt und Domino-Eis und Capri.
Oder morgens am Meer. Wenn alles jungfräulich ist und noch kein Schiff Wellen ans Ufer wirft. Wo die Krebse scheu die Sonne begrüßen.
Wann immer Sie von Pflichten genervt sind, holen Sie solche Momente aus Ihrem Gedächtnis oder
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