Langenscheidts Handbuch zum Glück (German Edition)
besser.
Sie haben losgelassen. Für alle Zeit. Was für eine Entscheidung, was für ein Mut. Zumal sie für Struktur und Kontemplation auf vieles verzichten müssen: Alles Besitztum haben sie an der Klosterpforte abgegeben. Das Notwendigste – wie Brille und Schuhe – erhalten sie vom Kloster. Dass sich im Alter mal jemand um sie kümmert, hoffen sie. Dass die zusammengewürfelte Gruppe von Männern Familienersatz sein kann, glaubt kaum einer.
Wenn man mit ihnen über die Probleme des Zölibats spricht, sagen sie Weises. Mit der Sexualität habe doch jeder zu kämpfen, ob als Single, Ehepartner oder Mönch. Das bewiesen die vielen Ehebrüche und Scheidungen doch deutlich. Erwachsenen Umgang mit Trieb und Lust müsse jeder von uns lernen.
Immer weniger machten den Schritt fürs Leben. Je später man ihn erwäge, desto schwieriger sei er. Am ehesten werde er in Zeiten der Krise, Neudefinition und Veränderung gegangen.
Für zwei Tage oder Wochen hingegen tun das in unseren Zeiten viele. Die Klöster sind überfüllt mit Menschen, die sich der Erfahrung der Ritualisierung und des Weglassens stellen wollen.
Was steckt dahinter?
Wir Europäer leben in einer Welt, in der wir alles haben können, zu jeder Zeit. Gehen wir in einen großen Supermarkt, sehen wir Hunderte von Joghurts, Früchte aus Übersee, Süßes in Hülle und Fülle. Setzen wir uns vor PC, Laptop oder iPhone, sehen wir durch ein digitales Fenster in die ganze Welt. Wir können alles kaufen oder ersteigern, wir können mit fast jedem rund um den Erdball telefonieren oder chatten, wir können Milliarden von Fotos und Videos ansehen, wir können verfolgen, was unsere sogenannten »Freunde« gerade so machen, wir können Zugverspätungen verfolgen oder das Wetter in Honolulu checken. Die Globalisierung und ihr Medium, das Internet, machen alles zugänglich. Sieben Tage die Woche, vierundzwanzig Stunden pro Tag.
Wie schön, sagen viele. Vor allem jene, die aus Ländern der Entbehrung und Unfreiheit kommen. Wie schrecklich, sagen andere, welche die Freiheit zwar gewohnt sind, aber vielleicht nicht die innere Stärke haben, mit ihr souverän umzugehen.
Jede Entwicklung hat zwei Seiten. Noch nichts hat ausschließlich Glück über die Menschheit gebracht, weder Auto noch Medizin, Religion oder Aufklärung. Mit allem neuen Glück gefährden wir altes.
Die Erfüllung des Traums vom Immer-alles-zu-jeder-Zeithaben-Können schenkt uns unendliche Angebote und Reize zu jeder Sekunde, birgt aber auch viele Gefahren. Die Folgen für die Umwelt durch Energieverbrauch und Abfall sind so desaströs, dass wir langsam merken, dass unsere kleinen Glücksgefühle dem großen Glück unserer Enkel und Enkelinnen den Boden unter den Füßen entziehen könnten. Die latente Unzufriedenheit unserer Kinder, die immer mehr immer schneller haben wollen, wird unerträglich. Früher konnte ein neuer Malstiftkasten Höhepunkt der ganzen Ferien sein, heute wird er ungeöffnet gelassen angesichts der Enttäuschung, dass eigentlich ein Videospiel gewünscht war. Und an vielen Jugendlichen und auch an uns selbst beobachten wir mit Erschrecken, dass man zwar vier Dinge auf einmal machen kann, dass uns dieses Multitasking aber oft unbefriedigt und leer zurücklässt. Nichts hat man wirklich getan, bei keiner Sache war man mit ganzem Herzen dabei. Und schaut man zurück, weiß man kaum mehr, was alles war. Gesichtsloses, erinnerungsloses Leben in Stress und Belastung, teuer für Seele und Umwelt. Freiwilliges Laufen im Hamsterrad der tumben Konsumgläubigkeit und fantasietötenden Ablenkung.
Verwundert es, dass in dieser Situation eine Frage radikale Bedeutung gewinnt: Was macht mich wirklich glücklich?
Mehr und mehr Menschen sagen, sie bräuchten relativ wenig fürs Glück. Das Notwendigste an Wärme, Behausung, Licht, Essen und Trinken, viel Schlaf, ein paar gute Bücher und Filme, Gesundheit, Freundschaft, Familie und Liebe. Ab und zu mal einen Wein oder ein Bier, Bewegung, Zärtlichkeit und Sex. Alles andere sei doch Beiwerk, nett, aber entbehrlich.
Und was diese Menschen merken: Geben wir diesem Beiwerk viel Raum in unserem Leben, hat es die Tendenz, sich auszubreiten und uns die Aufmerksamkeit für das Wichtige zu nehmen. Also weg damit. Und dafür achtsamer leben, ruhiger, bewusster, weniger aufgeregt. Aber fest verzurrt an den Pflöcken, auf die es ankommt. Ein Glück der Nachhaltigkeit, weder auf Kosten unserer seelischen Gesundheit noch auf die der Lebensgrundlagen unserer
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