Langoliers
nach trügerisch war. »Im Gesetz steht, Sie haben überhaupt kein Recht, die Gegenstände auf der Liste einzusehen. Wir sehen darüber hinweg, wenn es niemanden stört, aber es scheint, als würde es Mr. Rainey stören.«
»Sie können Gift drauf nehmen, dass es Mr. Rainey stört«, sagte Mort. Er hatte die Hände fest im Schoß geballt; er konnte spüren, wie die Fingernägel kleine sichelförmige Wunden in das weiche Fleisch der Handflächen drückten.
Amy warf einen unglücklichen, flehenden Blick von Mort zu Ted. Mort ging davon aus, dass Ted sich jetzt aufplustern und versuchen würde, jemandes Haus umzublasen, aber das machte Ted nicht. Mort nahm an, es war ein Maß für seine eigene Feindseligkeit dem Mann gegenüber, dass er von dieser Annahme ausgegangen war; er kannte Ted nicht besonders gut (aber er wusste, dass er ein wenig wie Alfalfa aussah, wenn man ihn plötzlich in einem verschwiegenen Motel aufweckte), aber er kannte Amy. Wenn Ted ein Dickkopf wäre, hätte sie ihn schon längst verlassen.
Ted lächelte verhalten, wandte sich an sie und ignorierte Mort und die anderen, so gut es ging: »Wäre es der Sache dienlich, wenn ich einen Spaziergang um den Block machen würde?«
Mort versuchte, sich zurückzuhalten, aber es gelang ihm nicht richtig. »Warum nicht gleich zwei?« fragte er Ted mit falscher Liebenswürdigkeit.
Amy warf ihm einen verkniffenen, finsteren Blick zu, dann sah sie Ted wieder an. »Würdest du so lieb sein? Es würde vielleicht wirklich alles vereinfachen …«
»Klar«, sagte er. Er küsste sie auf den Wangenknochen, und Mort hatte wieder eine qualvolle Offenbarung: Dem Mann lag etwas an ihr. Ihm lag vielleicht nicht immer etwas an ihr, aber momentan schon … eine ganze Menge. Mort wurde klar, er hatte sich schon halb zu der Ansicht durchgerungen, dass Amy ein Spielzeug war, das Teds Aufmerksamkeit eine Weile erregt hatte, aber ein Spielzeug, das er bald wieder satt haben würde. Aber auch das passte nicht zu dem, was er von Amy wusste. Sie hatte eine bessere Menschenkenntnis … und mehr Selbstachtung.
Ted stand auf und ging. Amy sah Mort vorwurfsvoll an. »Bist du jetzt zufrieden?«
»Ich denke, ja«, sagte er. »Hör zu, Amy, ich habe das wohl nicht so gut wie möglich gehandhabt, aber meine Motive sind nur ehrbar. Wir haben im Lauf dieser Jahre vieles gemeinsam gehabt. Ich schätze, dies ist das letzte, und ich finde, es gehört nur uns beiden. Okay?«
Strick sah unbehaglich drein. Fred Evans nicht; er sah mit dem aufmerksamen Interesse eines Mannes, der ein gutes Tennisspiel verfolgt, von Mort zu Amy und wieder zurück.
»Okay«, sagte Amy mit leiser Stimme. Er berührte sacht ihre Hand, und sie schenkte ihm ein Lächeln. Es war verkrampft, aber besser als gar kein Lächeln, dachte er.
Er rückte den Stuhl näher an ihren, worauf sie sich über die Liste beugten, die Köpfe dicht zusammen wie Kinder, die für eine Arbeit lernen. Es dauerte nicht lange, und Mort sah ein, warum Evans sie gewarnt hatte. Er hatte geglaubt, er hätte das Ausmaß des Verlustes begriffen. Er hatte sich geirrt.
Während er die Säulen nüchterner Computerschrift durchlas, dachte Mort, er hätte nicht unglücklicher und niedergeschlagener sein können, wenn jemand alles in dem Haus Kansas Street Nr. 92 genommen und den ganzen Block entlang auf der Straße verstreut hätte, damit alle Welt es angaffen konnte. Er konnte nicht glauben, was er alles vergessen hatte, was alles unwiederbringlich dahin war.
Sieben größere Haushaltsgeräte. Vier Fernseher, einer mit Zubehör zum Video schneiden. Das Porzellan von Spode und das authentische amerikanische Mobiliar, das Amy Stück für Stück gekauft hatte. Er sah, dass der Wert der antiken Kommode in ihrem Schlafzimmer mit 14 000 Dollar angegeben war. Sie waren keine ernsthaften Kunstsammler gewesen, aber Bewunderer, und sie hatten zwölf Kunstwerke, allesamt Originale, verloren. Ihr Wert war mit 22 000 Dollar aufgelistet, aber Mort war der Dollarwert einerlei; er musste an die Skizze von N. C. Wyeth denken, zwei Jungen, die mit einem kleinen Boot in See stachen. Es regnete auf dem Bild, die Jungen hatten gelbe Regenmäntel und rote Gummimäntel an und grinsten breit. Mort hatte diese Skizze geliebt, und jetzt war sie nicht mehr da. Das Waterford-Glas. Die Sportausrüstung in der Garage – Skier, Zehngangräder und das Oldtown-Kanu. Amys drei Pelzmäntel waren aufgelistet. Er sah, wie sie kleine Zeichen neben Biber und Nerz machte – offenbar
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