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Langoliers

Titel: Langoliers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hinten mitzählen – der fast im Koma liegt –, dann sind wir elf an der Zahl.«
    »Wenn Sie recht haben, sollten wir dann nicht mehr sein?«
    »Warum?«
    Aber Albert war verstummt, weil ihm eine plötzliche, lebhafte Erinnerung an seine Kindheit eingefallen war. Er war von Eltern, die nicht orthodox, aber auch keine Agnostiker waren, in einer theologischen Zwielichtzone großgezogen worden. Er und seine Brüder waren herangewachsen und hatten die meisten Ernährungstraditionen (oder Gesetze oder was immer sie waren) kennen gelernt, sie hatten ihr Bar-Mizwa gehabt und waren in dem Wissen erzogen worden, wer sie waren, woher sie kamen und was das zu bedeuten hatte. Die Geschichte, an die sich Albert am deutlichsten von seinen Besuchen in der Synagoge erinnerte, war die von der letzten Plage, die über den Pharao gekommen war – der schreckliche Tribut, welchen Gottes dunkler Engel des Morgens gefordert hatte.
    Vor seinem geistigen Auge sah er diesen Engel jetzt nicht über Ägypten ziehen, sondern durch dieses Flugzeug, wo er die meisten Passagiere an seine schreckliche Brust nahm … nicht weil sie es versäumt hatten, ihre Türschwellen (oder vielleicht ihre Sitzlehnen) mit dem Blut eines Lamms zu beschmieren, sondern weil …
    Was? Weil was ?
    Albert wusste es nicht, zitterte aber dennoch. Und wünschte sich, diese unheimliche alte Geschichte wäre ihm nicht eingefallen. Lass meine Gelegenheitsflieger ziehen, dachte er. Aber es war nicht komisch.
    »Albert?« Mr. Jenkins’ Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. »Albert, alles in Ordnung?«
    »Ja. Ich habe nur nachgedacht.« Er räusperte sich. »Wenn alle schlafenden Passagiere, Sie wissen schon, übergangen worden wären, müssten wir mindestens sechzig sein. Vielleicht mehr. Ich meine, dies ist schließlich ein Schnarchflug.«
    »Mein Junge, hast du jemals …«
    »Könnten Sie mich Albert nennen, Mr. Jenkins? Das ist nämlich mein Name.«
    Jenkins tätschelte Alberts Schulter. »Tut mir leid. Wirklich. Ich will nicht väterlich sein. Ich bin nur beunruhigt. Und wenn ich beunruhigt bin, neige ich dazu, mich zurückzuziehen … wie eine Schildkröte, die den Kopf in den Panzer zieht. Nur ziehe ich mich eben in die Literatur zurück. Ich glaube, ich habe Philo Vance gespielt. Das ist ein Detektiv – ein großartiger Detektiv –, den der verstorbene S. S. van Dyne geschaffen hat. Ich nehme an, du hast ihn nie gelesen. Kaum einer liest ihn heutzutage, was jammerschade ist. Wie auch immer, ich entschuldige mich.«
    »Schon gut«, sagte Albert unbehaglich.
    »Albert bist du, und Albert sollst du von nun an sein«, versprach Robert Jenkins. »Ich wollte dich fragen, ob du schon einmal mit dem Schnarchflug geflogen bist.«
    »Nein. Ich bin überhaupt noch nie geflogen.«
    »Nun, ich schon. Schon oft. Manchmal habe ich sogar meiner natürlichen Neigung getrotzt und bin eine Weile wach geblieben. Hauptsächlich, als ich noch jünger und die Flüge lauter waren. Und nachdem ich soviel gesagt habe, kann ich wohl auch über die Maßen bloßstellen und zugeben, dass mein erster Flug von Küste zu Küste mit einer TWA-Propellermaschine war, die zweimal zwischenlanden musste – zum Auftanken.
    Meiner Beobachtung zufolge schlafen nur sehr wenige Leute bei solchen Flügen während der ersten Stunde. Während der ersten Stunde beschäftigen sich die meisten damit, die Landschaft zu betrachten, mit ihren Liebchen oder Sitznachbarn zu reden, einen Drink oder zwei zu nehmen …«
    »Es sich gemütlich zu machen, meinen Sie«, schlug Albert vor. Was Mr. Jenkins sagte, schien ihm durchaus sinnvoll, obwohl er sich herzlich wenig Zeit zum Gemütlichmachen genommen hatte; die bevorstehende Reise und das Leben, welches ihn am Ende dieser Reise erwartete, hatten ihn so aufgeregt, dass er die vergangenen Nächte kaum geschlafen hatte. Als Folge dessen war er, kaum hatte die 767 vom Boden abgehoben, ins Reich der Träume geplumpst.
    »Sie richten sich kleine Nester ein«, stimmte Jenkins zu. »Ist dir zufällig der Getränkewagen vor dem Cockpit aufgefallen, mein … Albert?«
    »Ich habe ihn gesehen«, stimmte Albert zu.
    Jenkins’ Augen leuchteten. »Ja, wahrhaftig – man musste ihn entweder sehen oder darüberfallen. Aber ist er dir wirklich aufgefallen?«
    »Wahrscheinlich nicht, wenn Sie etwas gesehen haben, das mir entgangen ist.«
    »Nicht das Auge nimmt wahr, sondern der Verstand, Albert. Der ausgebildete deduktive Verstand. Ich bin kein Sherlock Holmes, aber mir ist

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